Wofür du stirbst
Totenrede vor, die ich mit Sams Hilfe verfasst hatte.
Ich starrte auf den Sarg vor mir, die Worte wurden immer undeutlicher, ich versuchte mir Mom vorzustellen, wie sie vor Jahren gewesen war. Wie wenig Respekt ich ihr als Teenager entgegengebracht hatte. Sie musste mich damals gehasst haben.
Dann wurde Jim Reeves gespielt. Danach stand Sam auf und las ein Gedicht vor, das er im Internet gefunden hatte. Er las deutlich und mit fester Stimme, wurde aber rot dabei. Dabei starrte er auf die Uhr, die hinten im Raum über der Flügeltür hing, durch die wir gekommen waren.
Ich versuchte, mir meine Mutter an einem helleren Ort vorzustellen, so wie das Gedicht ihn beschrieb, doch alles, woran ich denken konnte, war, wie sehr sie diesen Ort hassen würde, wenn dort noch andere Menschen waren.
»Danke«, flüsterte ich, als Sam sich wieder gesetzt hatte.
Er nahm erneut meine Hand und drückte sie zur Antwort. Sobald die Zeremonie zu Ende war, würden wir ins Haus in die Keats Road zurückkehren. Irene kochte bereits für uns, denn für sie war es eine unausgesprochene Voraussetzung, dass ich für mein Wohlbefinden offenbar Essen brauchte. In den vergangenen Tagen hatte sie ständig gesunde, nährstoffreiche Mahlzeiten zubereitet, die ich so gut ich konnte aß. Ich empfand Essen immer noch als seltsam und eher überflüssig und hätte vermutlich auch nichts zu mir genommen, wenn nicht alle genauestens darauf geachtet hätten.
Der Zelebrant beendete den Gottesdienst, wir erhoben uns. Die Türen auf der Vorderseite wurden geöffnet, und wir schritten in den Nieselregen hinaus, betrachteten die drei Blumengestecke dort, dann gab es keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben. Ich bedankte mich bei Len. Wir hatten uns wieder versöhnt, und ich schüttelte seine Hand, dann klappte er seinen Kragen hoch, zog den Mantel enger und eilte zum Parkplatz.
»Annabel? Ich muss wieder.«
Es war Kate. Ich musste mich konzentrieren, um mich wieder zu erinnern, wer sie war, obwohl ich ihr im Büro seit drei Jahren gegenübersaß.
»Oh, alles klar. Danke, dass du gekommen bist. Das war – sehr nett von dir.«
»Schon in Ordnung. Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut.«
»Ich habe doch gar keine Einladungen geschrieben«, sagte ich automatisch. »Das hat Sam gemacht.«
»Oh! Verstehe. Na schön …« Ihre Wangen liefen rot an.
»Ich meine – tut mir leid, das war nicht nett von mir. Ich hab mich nur gewundert, dich hier zu sehen.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum? Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht, weißt du. Ich weiß, dass du jetzt denkst: Mein Gott, ist das peinlich – also, wir im Büro hatten immer das Gefühl, dass du nichts mit uns zu tun haben willst. Wäre schön, wenn du dich öfter mal zu uns setzt.«
Jetzt war ich verblüfft. »Echt?«
»Natürlich.« Sie lächelte mich an, und ich war mir ausnahmsweise ziemlich sicher, dass es nicht gespielt war. Schließlich war außer uns niemand hier. Niemand, den sie beeindrucken musste oder vor dem sie angeben konnte.
»Also … Wer ist eigentlich dieser Sam?«, fragte sie. »Dein neuer Freund?«
Einen Augenblick war ich so verblüfft, dass ich nicht darauf antworten konnte – wie kam jemand auf die Idee …? »Er ist richtig süß«, fuhr sie fort. »Wo habt ihr euch kennengelernt?«
Sie blickte über meine Schulter. Ich drehte mich um und sah Sam, der mit einer Frau vom Geselligkeitsverein sprach. Er lächelte sie an, hatte den Kopf ein wenig gebeugt, damit er sie besser verstand, wobei ihm sein dunkles Haar in die Augen fiel.
»Er ist nicht mein Freund«, sagte ich bestürzt.
»Oh«, sagte sie. »Er sieht aber nett aus.«
»Er ist – er ist entzückend.«
»Aber nicht …«
Ich schüttelte den Kopf. Nicht mein Typ, dachte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was eigentlich mein Typ war und warum Sam nicht dazu gehörte.
»Du fehlst uns im Büro, weißt du«, sagte sie. »Das meine ich ernst. Liebe Grüße von allen.«
»Ich komme bald wieder«, sagte ich. »Vielleicht schon am Montag.«
»Nimm dir alle Zeit, die du brauchst«, sagte sie. »Aber wir freuen uns, wenn du wieder da bist.« Sie drehte sich um und wollte gehen, zögerte dann aber und kam zu mir zurück. »Wusstest du, dass Frosty einen ganzen Stapel Telefonrechnungen für dich aufgehoben hat? Er tut so, als wüsste er, was er damit anfangen soll, aber …«
»Telefonrechnungen? Haben sie mit dem Fall zu tun?«
»Genau. Ich meine, ich könnte sie mir auch ansehen, aber das ist ja
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