Wofür du stirbst
Hunger das nicht alles außer Kraft?«, fragte Topping plötzlich. »Ich meine, der menschliche Körper braucht doch Essen und Wasser …«
»Freiwilliger Verzicht auf Essen und Flüssigkeit kommt erstaunlich häufig vor, wissen Sie«, sagte ich. »Ich empfehle Ihnen, sich mal im Internet umzusehen. Man nennt es auch Freitod durch Dehydrierung oder freiwillige Dehydrierung. Hat man erst einmal einen gewissen Punkt überschritten, fährt der Körper seine Funktionen herunter, ab da ist es ziemlich einfach. Es dauert nicht lange, und wenn man mit der Angst und einem begrenztem Maß an Schmerz umgehen kann, ist es ein ziemlich angenehmer Tod. Es kommt darauf an, wie fit man ist und ob eine Grunderkrankung vorliegt, aber ich würde sagen, es dauert durchschnittlich zwischen fünf und sieben Tage, während denen das Subjekt hauptsächlich schläft. Es kommt zu keinerlei Gewaltanwendung; im Grunde ist es sogar ein ziemlich friedlicher Prozess. Man driftet einfach im Schlaf weg.«
Beide starrten mich an.
»Wenn einer von ihnen seine Meinung geändert hätte, hätte er nur etwas Wasser trinken müssen. Sie waren alle bei sich zu Hause. Manche hatten sogar Essen im Kühlschrank oder in den Vorratsschränken. Sie hätten ihre Meinung jederzeit ändern können. Doch sie hatten ihren Weg gewählt. Ich habe ihnen nur geholfen, ihn zu gehen.«
»Waren Sie dabei, als sie starben?«
»Nein. Das ist ein intimer Moment. Normalerweise ließ ich sie allein, wenn sie das Bewusstsein verloren.«
»Aber Sie kamen zurück?«
»Ich kam zurück, um mich zu vergewissern, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.«
Sie sahen einander an. Ich wartete darauf, dass sie mich fragten, ob ich auch danach noch zurückkam, denn dann hätte ich vermutlich lügen müssen. Doch zum Glück für mich und meine Liebe zur Wahrheit lag es außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, dass jemand freiwillig Zeit mit verwesendem menschlichem Fleisch verbringen wollte.
»Lassen Sie uns noch einmal über die Handys reden, die Sie benutzt haben, Colin. Sie haben zugegeben, dass sie für die, äh, Personen, die Sie trafen, unterschiedliche SIM-Karten benutzt haben.«
»Ich glaube schon.«
»Sie glauben?«
»Na schön, ja.«
»Warum?«
»Um den Überblick über meine Kontakte nicht zu verlieren.«
»Scheint eine ziemlich komplizierte Methode zu sein. Warum haben Sie nicht einfach ihre Nummern eingespeichert und zu den Kontakten auf Ihrem Handy hinzugefügt?«
»Ich habe keine Kontakte auf meinem Handy gespeichert. Das haben Sie sicher schon bemerkt.«
»Wieso nicht?«
»Ich halte einfach gerne meine eigene Ordnung, das ist alles.«
Lewis seufzte, was bedeutete, dass wir kurz vor einem Strategiewechsel standen.
»Ihr Handy wird noch mit«, er sah kurz auf seine Notizen, »mit zwanzig weiteren SIM-Karten in Verbindung gebracht. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Kein Kommentar.«
»Kommen Sie schon, Colin. Weitere siebenundzwanzig SIM-Karten! Es muss doch ziemlich anstrengend gewesen sein, sie jedes Mal rauszupulen und auszutauschen, oder?«
»Nein, ich habe die SIM-Karten über einen sehr langen Zeitraum benutzt.«
»Und sie dienten alle demselben Zweck?«
»Ja, um mit den Personen in Kontakt zu bleiben.«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass es noch weitere siebenundzwanzig Personen gibt, die noch gefunden werden müssen?«
Ich lächelte ihn an. »Klingt ziemlich viel, nicht wahr? Sie kümmern sich offensichtlich nicht so gut um Ihre Gemeinde, wie Sie denken.«
»Ist einer von ihnen noch am Leben, Colin?«
»Ich habe mich bereits gefragt, wann Sie mir diese Frage stellen würden.«
»Und? Lebt irgendwer von ihnen noch?«
Sie starrten mich beide an, saßen regungslos auf ihren Stühlen und atmeten schwer. Endlich hatten sie mir eine interessante Frage gestellt. Und nun war die Zeit gekommen, sie zum ersten Mal zu belügen.
»Nein.«
Sie atmeten erleichtert auf. Es war fast komisch. Und ich hatte das Gefühl, dass sie mir glaubten, dass sie mir unbedingt glauben wollten, sodass für ihre Spatzenhirne keine Alternative denkbar war.
»Sind Sie sicher?«
»Vor ein paar Wochen war eine Frau noch am Leben, aber da kam, glaube ich, jemand dazwischen.«
Es folgte eine kleine Pause, Papier raschelte. Lewis trat unter dem Tisch gegen die Pappschachtel. »Na schön, noch einmal zu den Handys: Haben Sie immer diese Methode benutzt, um mit den Personen in Kontakt zu bleiben?«
»Ja.«
»Galt das für Ihre Freunde genauso wie für die, äh, denen Sie ›auf
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