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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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scherzen oder er hätte sich verhört, denn er lächelte mich an. Doch an meinem Gesichtsausdruck erkannte er wohl, dass ich es ernst meinte. »Oh Gott, das tut mir leid«, sagte er ruhig. »War das Ihr Dad am Telefon?«
    »Nein, das Krankenhaus.«
    Ich versuchte aufzustehen. Diesmal fühlten sich meine Beine stabiler an, also murmelte ich irgendwas davon, dass ich meinen Mantel holen musste, und sagte dann kurz »Entschuldigen Sie« zu den beiden Männern, die an der Tür standen und Witze rissen. Das gehörte sich einfach nicht bei einer Mordermittlung, und jeder hätte sich darüber aufgeregt, auch jemand, der nicht gerade vom Tod seiner Mutter und dem Ende der eigenen Familie erfahren hat.
    Im Krankenhaus überreichte man mir einen Beutel mit den Habseligkeiten meiner Mutter. Es war kaum etwas darin, weil ich nicht die Gelegenheit gehabt hatte, ihr etwas mitzubringen.
    Eine uniformierte Dame wartete auf der Station auf mich – möglicherweise eine Krankenschwester oder Pflegerin oder sonst wer – und brachte mich hinunter in die Aufbahrungshalle. Alle sprachen ruhig und freundlich mit mir. Wahrscheinlich hatte man sie dazu ausgebildet, damit ich nicht in Hysterie ausbrach. Doch obwohl sich die Ereignisse überschlagen hatten, war ich kein bisschen hysterisch. Ich war ruhig, fast schon unbeteiligt, denn jetzt hatte ich etwas zu tun, musste eine Liste abarbeiten, bevor ich mein normales Leben wieder aufnehmen konnte.
    Erster Schritt: reingehen und Mom sehen.
    Zweitens: irgendwo ein Formular holen. Man hatte einen Termin für mich vereinbart.
    Die Formulare zum Standesamt bringen und Sterbeurkunde ausstellen lassen.
    Dann zu Moms Rechtsanwalt gehen und eine vorläufige Vollmacht über ihren Nachlass einholen.
    Nachsehen, ob mit ihrem Haus alles in Ordnung war.
    Bestattungsunternehmen anrufen.
    Bestattung organisieren.
    Moms Sachen zusammenpacken.
    Das Haus zum Verkauf freigeben.
    Dazwischen ergaben sich bestimmt noch unzählige andere Dinge, doch als ich da auf dem Stuhl neben meiner toten Mutter saß, musste ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, um mit der Situation fertigzuwerden.
    Ich überlegte, ob ich mit ihr reden sollte. Doch was hätte ich sagen sollen?
    Ich war so müde, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich ließ meinen Verstand umherschweifen, suchte nach ihr, hoffte sie zu spüren, so wie ich die Engel spürte, wenn ich sie brauchte. Vielleicht hätte ich fragen sollen, dann hätte ich unter Umständen eine Antwort erhalten, hätte eine liebevolle Hand auf der Schulter gespürt oder einen Atemhauch oder ein freundlich geflüstertes Wort vernommen. Ich schloss meine Augen und versuchte ihre Gegenwart zu erspüren, obwohl sie neben mir lag.
    Mom, dachte ich, hilf mir . Ich weiß nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, was ich tun soll .
    Ich fühlte nichts, rein gar nichts. Ich hatte nur das Gefühl, dass sie gegangen war.
    Ich öffnete wieder die Augen. Irgendwo im Hintergrund spielte Musik, ein klassisches Stück, keine geistliche Musik. Wahrscheinlich waren das die Top-20-Leichenhallenhits von Classic FM. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf meine Lippen, das sich schließlich in ein völlig deplatziertes Kichern verwandelte. Dann kam mir ein weiterer, blitzartiger Gedanke. Ich war schon fast Ende dreißig und hatte bisher nie einen Toten vor mir gehabt, und jetzt hatte ich innerhalb der letzten zwei Tage gleich zwei gesehen.
    Ich stand auf, sah sie noch einmal an und überlegte, dass ich sie zum Abschied berühren und küssen sollte. Dass ich irgendwas tun sollte … Doch es ging nicht. Stattdessen ließ ich sie unter dem weißen Laken liegen, das ihr bis zum Kinn reichte, wandte mich ab, verließ den Raum und schloss die Tür fest hinter mir.
    Ich holte mir das Formular, das so schnell wie möglich zum Standesamt gebracht werden musste. »Ich kann es sofort dorthin fahren«, sagte ich zu der Frau, die es mir gegeben hatte.
    »Das Amt ist jetzt geschlossen«, sagte die Krankenschwester freundlich. »Ich fürchte, das müssen Sie auf morgen verschieben.«
    Mein erster Gedanke war, dass ich morgen zur Arbeit musste, vermutlich ging man aber davon aus, dass ich mir freinahm. Ich musste Bill anrufen und herausfinden, was man von mir erwartete. Schließlich war es ja nicht so, als hätte ich nichts zu tun. Endlich waren die Ermittlungen aufgenommen worden, für die ich mich so eingesetzt hatte – wie lange konnte ich mir wohl freinehmen?
    Ein paar Minuten später eilte ich schon den

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