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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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programmierten Zeit ansprang. Ich musste sie abstellen. Doch dann froren vielleicht die Rohre ein, wenn es einen Kälteeinbruch gab. Der Gefrierschrank – ich sollte ihn ausräumen, ausstecken und enteisen. Und den Kühlschrank gleich mit. Ich musste alle elektrischen Geräte ausschalten, sie verschwendeten jetzt nur Geld. Vielleicht sollte ich gleich die Sicherungen rausnehmen? Und das Gas abdrehen – doch dann lief die Heizung nicht mehr, und die Rohre froren vielleicht ein.
    In meinem Kopf drehte sich alles, und ich zwang mich dazu, diese Gedanken beiseitezuschieben. Ich machte das Licht an, stellte meine Tasche in den Flur und hängte meinen Mantel an die Garderobe, so wie immer, wenn ich dieses Haus betrat.
    Mom war vor fünfzehn Jahren hier eingezogen, als ihre Schwester, meine Tante, nach Schottland gegangen war. Sie hatten vorher zusammen in einem anderen Haus gewohnt, nachdem ich zur Uni gegangen war, doch als Tante Bet umzog, wollte meine Mutter in meiner Nähe sein. Damals war sie noch aktiver, ging mit Freunden aus oder dreimal in der Woche alleine in den Supermarkt oder buchte diese seltsamen Geselligkeitsvereins-Busreisen am Wochenende. Ich glaube, mir fiel gar nicht richtig auf, dass sie älter wurde, doch wenn ich jetzt so zurückblickte, hatte es genügend Anzeichen dafür gegeben. Irgendwann bekam sie Ärger mit jemandem im Geselligkeitsverein und wollte nicht mehr hingehen. Nach dem Tod von Tante Bet vor fünf Jahren geriet Mom in eine Abwärtsspirale. Sie fing an, sich um ihr Geld zu sorgen, obwohl sie eine gute Rente hatte und sie vorher nie einen Gedanken darauf verschwendet hatte. Kurze Zeit später ging sie nicht mehr zum Bingo, und irgendwann gab es nur noch mich. Ich war der einzige Mensch, der ihr geblieben war, abgesehen von ihren Nachbarn, die ab und zu vorbeikamen und nach ihr sahen, doch selbst über die beschwerte sie sich, wenn ich vorbeikam.
    »Sie belästigen mich ständig«, zischte sie dann leise, als stünden sie nebenan und lauschten. »Sie tauchen einfach auf. Ob es mir gerade passt oder nicht.«
    »Warum?«, fragte ich. »Was hast du denn Wichtiges zu tun?« Bei diesen Gelegenheiten weigerte ich mich stets, leiser zu reden. Wir hörten die Nachbarn nie reden, wieso sollten sie also hören, was wir sagten?
    Wie sich dann herausstellte, hatte ihr Nachbar Len ihr fast das Leben gerettet und mir die Möglichkeit gegeben, mich irgendwie von meiner Mom zu verabschieden, auch wenn sie mich nicht hatte hören können. Ich jedenfalls hätte sie erst am folgenden Abend besucht, und da wäre sie bereits tot gewesen. Wäre sie ihm gegenüber ein wenig gastfreundlicher gewesen, hätte er sie vielleicht ein wenig früher entdeckt, und sie hätte überlebt.
    Ich ging ins Wohnzimmer, machte das Licht an und erwartete fast, dass sie dort auf ihrem Stuhl saß. Dass er leer war, traf mich wie ein Schlag, sodass ich einen Schritt zurücktaumelte. Sie saß immer auf diesem Stuhl, wenn ich sie drei-oder viermal die Woche besuchte. Manchmal stand sie auf, wenn ich da war, ging zur Toilette oder machte irgendwas in der Küche, bewegte sich mit ihrem Rollwagen oder ihrem Gehstock durchs Haus, stützte sich auf meine hilfsbreite Hand, um vom Stuhl aufzustehen, doch meistens saß sie dort und wartete, dass ich ihr die Sachen holte.
    Jetzt war der Stuhl leer. Im Sitzkissen war eine Mulde, der Bezug war über die Jahre verblasst und durchgescheuert. Die Armlehnen des Stuhls waren grau, weil sie ständig mit den Händen darübergefahren war. Sie war nicht mehr da.
    Ich atmete heftig, fühlte mich ängstlich und irgendwie seltsam. Ich überlegte, was mich plötzlich so beunruhigte. Das Haus war so still, so ruhig. Hatte ich je zuvor in diesem Raum gestanden, ohne dass der Fernseher gelaufen war? Selbst die Luft roch anders ohne sie.
    Ich atmete tief durch und versuchte mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Das hier war Zeitverschwendung. Ich hatte etwas zu erledigen.
    Ich kehrte ihrem Stuhl den Rücken zu und ging in die Küche. Hier war es wirklich dunkel, das Fenster ging auf den leeren Garten und die dunklen Fenster des Nachbarhauses hinaus. Ich machte das Licht an.
    Alles war verdächtig sauber. Mom hasste Abwasch, also wusch meistens ich die Teller der vorherigen Mahlzeiten ab, wenn ich vorbeikam und ihr das Abendessen brachte. Doch jetzt war das Spülbecken leer, der graue Spüllappen hing über der Mischbatterie, die unaufhörlich in das Spülbecken tropfte. Ich öffnete den Kühlschrank. Er war

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