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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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zurückverlangen, bevor ich wieder fuhr.
    Ich sah mich in der stillen Küche um; alle Utensilien waren an Ort und Stelle, sahen mich erwartungsvoll an und schienen darauf zu warten, dass man sie wieder benutzte. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich öffnete den Geschirrschrank, in dem sie ihre Vorräte lagerte – Teebeutel, Frühstücksflocken. Ganz oben stand eine Teedose zum Andenken an die Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana Spencer im Jahre 1981. Darin bewahrte sie ihr Haushaltsgeld auf, das Geld, das sie von ihrer Rente für Lebensmittel und andere Kleinigkeiten abzweigte. Ich hatte für sie bei der Bank Daueraufträge für ihre Rechnungen eingerichtet und prüfte alle paar Monate ihre Auszüge, um sicherzugehen, dass alles gedeckt war und bezahlt wurde. Wenn ich ihre Einkäufe erledigte, nahm ich Geld aus der Büchse und steckte den Kassenzettel hinein. Entweder rundete ich auf oder ab; ich machte mir um das Kleingeld niemals Gedanken. Als ich letzten Sonntag hier war, waren noch achtzig Pfund in Zwanzigpfundnoten in der Büchse gewesen. Ich hatte zwanzig herausgenommen und zehn aus meiner Geldbörse zurückgesteckt, denn ich hatte für insgesamt zwölf Pfund und achtundneunzig Cent eingekauft. Gestern war ich so spät von der Arbeit gekommen und so müde gewesen, dass ich die Teedose ganz vergessen hatte; der Kassenzettel lag immer noch unten in der Tüte.
    In der Dose lagen noch zwanzig Pfund. Eine einzelne Zwanzigpfundnote. Fünfzig Pfund waren verschwunden, seit ich das letzte Mal hineingesehen hatte – also vor ein paar Tagen. Ich stand einen Moment da, betrachtete die einzelne Banknote und überlegte, ob ich mich womöglich irrte. Ich fragte mich, was sie gekauft hatte.
    Dann ging ich zu ihrem Schreibtisch im Esszimmer und sah in die oberste Schublade, in der sie die wichtigen Unterlagen aufbewahrte: Pass, Sparbuch, Geburtsurkunde. Ich wühlte kurz darin herum, doch an sich genügte ein Blick, um zu sehen, dass alles noch an Ort und Stelle lag. Ich war erleichtert; dann hatte ich mir das also nur eingebildet? Vielleicht war bereits weniger Geld in der Büchse gewesen, als ich das letzte Mal hineingeschaut hatte, oder ich brachte die Tage durcheinander. Vielleicht war auch der Fensterputzer da gewesen, oder sie hatte für einen wohltätigen Zweck irgendwas in einen Umschlag gesteckt.
    Aber fünfzig Pfund?
    Ich sah mich im restlichen Haus um, war mir aber nicht sicher, wonach ich eigentlich suchte. In ihrem Schlafzimmer herrschte jene Stille, die andeutete, dass hier schon länger keiner mehr gewesen war. Die Kleider im Schrank waren alt und lange nicht mehr getragen. Da hingen das glitzernde Cocktailoberteil mit der schweren Silberstickerei und ein langer schwarzer Rock, die sie zum Essen an meinem einundzwanzigsten Geburtstag getragen hatte. Warum hatte sie sie aufgehoben? Es stand doch außer Frage, dass sie sie jemals wieder anziehen würde. Ich entdeckte aber auch noch andere Sachen im Schrank, die sie vor langer Zeit getragen hatte – etwa der Blazer, den sie manchmal zur Arbeit angezogen hatte, bevor sie in Rente ging. Unten im Schrank standen die Schuhe einer Frau, die nie über die Schwelle ihres Hauses getreten war.
    Das Gästezimmer stand voller Kisten, die sie seit dem Umzug nicht ausgepackt hatte. »Irgendwann mach ich das schon«, hatte sie immer gesagt, als warte sie nur darauf, dass die sozialen Verpflichtungen endlich abnahmen und sie sich richtig heimisch fühlen konnte. Alles wirkte unberührt.
    Gut. Ich konnte es nicht länger aufschieben – und sosehr ich Konfrontationen jeglicher Art hasste, das war eine, der ich nicht aus dem Weg gehen konnte.
    Len sah mich überrascht an, als er mir die Türe öffnete. »Alles in Ordnung?« Er kaute irgendwas, und ich fragte mich, ob es ein Sandwich war, das er sich mit Moms Brot gemacht hatte.
    »Hallo, ich bin’s noch mal. Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch die Schlüssel von Ihnen bräuchte. Jetzt, wo sie gestorben ist, müssen Sie ja nicht mehr ins Haus, oder?«
    »Soll ich die Post nicht holen? Dann müssen Sie nicht immer vorbeikommen.«
    »Ist schon in Ordnung. So weit wohne ich nicht weg.«
    »Und was ist im Notfall?«
    »Falls es einen Notfall gibt«, sagte ich bestimmt und überlegte, was um Himmels willen er damit meinen könnte, jetzt, wo Mom tot war, »können Sie mich auch anrufen, oder?«
    Er wirkte plötzlich etwas geknickt. »Oh. Verstehe. Gebongt. Kleinen Moment.«
    Er ließ die Tür sperrangelweit offen, ging in

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