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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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jedoch eine andere ästhetische Erfahrung. Der Philosoph Blaise Pascal hat sie wie folgt beschrieben:
    »Daher kommt es, daß das Spiel und der Umgang mit Frauen, der Krieg und die hohen Ämter so begehrt sind. Das ist nicht etwa deshalb, weil wirklich Glück darin läge, oder weil man sich vorstellte, die wahre Seligkeit sei es, das Geld zu besitzen, das man beim Spiel gewinnen kann, oder sie bestehe in dem Hasen, dem man nachjagt; man würde ihn nicht haben wollen, wenn man ihn geschenkt bekäme.« (Pascal 1997 : 96 )
    Der Hase als Jagdbeute, als Fang, der durch beabsichtigtes, planvolles Nachstellen erwirtschaftet wird, ist großartig. Sobald er jedoch geschenkt wird, ist er wertlos, wenn nicht gar unerträglich. Gerade als Geschenk scheint er also den Charakter eines unheimlichen Überschusses anzunehmen. Das Schenken, anders als in den zuvor beschriebenen Fällen, fungiert hier nicht als »entgiftende« Maßnahme; vielmehr vergällt es allererst die Freude am Objekt. Schenken wirkt hier als »Vergiften«.
    6 . Die ästhetische Antinomie und ihre Erklärung
    Wir sind hier auf eine echte Antinomie im Feld der Ästhetik gestoßen: Das Schenken, das uns als geeignetes Verfahren zur Erträglichmachung unerträglicher Objekte begegnet war, erwies sich in einem anderen Fall als genau das, was das Objekt unerträglich machte. Woher rührt diese zwiespältige Funktion? Und unter welchen Bedingungen zeigt sich diese Praxis einmal von ihrer gutmütigen, »benignen«, das andere Mal von ihrer unguten, »malignen« Seite? – Eine Antwort wird möglich, wenn wir die Frage erneut vom Gesichtspunkt der Angst her betrachten.
    Wenn wir mit dem Fall von Pascals Hasen beginnen, erscheint die Lösung einfach: Das Nachstellen gegenüber dem Hasen dient als willkommene Ablenkung gegenüber den Gedanken an uns selbst und an unsere, wie Pascal voraussetzt, erbärmliche menschliche Lage. Solange wir Hoffnung haben, einen Hasen zu fangen, brauchen wir an Letztere nicht zu denken und sind darum beruhigt. Nicht der Hase als Objekt, sondern die Zerstreuung, die er ermöglicht, ist das ästhetisch Entscheidende. Ohne diese Zerstreuung entstünde Angst. Wenn uns der Hase ohne Jagd überlassen wird, entsteht sie umso mehr: dann ist er schlimmer als gar nichts, denn er durchkreuzt dann sogar noch die Chance auf Ablenkung. Der Hase als jagdloses Geschenk macht weitere Jagd überflüssig und verunmöglicht dadurch jegliches ablenkende Begehren; er ist der »Mangel des Mangels« und liefert uns darum unverzüglich der fundamentalen Existenzangst aus, der wir Pascal zufolge erliegen, wenn es nichts gibt, das uns daran hindert, an uns selbst zu denken, und wir gezwungen sind, der Wahrheit unserer elenden Lage ins Auge zu sehen. Darum ist Schenken hier fatal: denn es vernichtet ablenkendes Begehren.
    In den entgegengesetzten Fällen von Kants Vögeln, den Ready-mades von Ray und Duchamp sowie meiner im Mülleimer gefundenen Kitschpuppe liegt der Ort der Angst anderswo. Entscheidend für die ästhetische Erfahrung ist bei diesen zwiespältigen, nicht von sich aus schönen Objekten, wer als ihr naiver Bewunderer in Betracht kommt. Wer diese Objekte absichtsvoll anfertigt oder bewusst käuflich erwirbt, findet sie offenbar vorbehaltlos schön. Diese naive Position ist für Träger eines komplexeren Geschmacks (wie professionelle Kunstschaffende oder Kunstphilosophen) jedoch mit Angst besetzt: Niemand will bei seiner unkultivierten Naivität ertappt werden. Darum ist immer ein Element der Distanzierung notwendig – wie eben Finden oder Schenken. Wer ein solches Objekt findet, erfreut sich nicht nur am Objekt, sondern auch an der liebevollen, aber distanzierten Vorstellung jenes Geschmacks, an den das Objekt direkt oder ursprünglich adressiert war. Wer es hingegen verschenkt, bildet zusammen mit dem Beschenkten eine Art von heimlicher Gesinnungsgemeinschaft, die ein heiteres »als ob« inszeniert: zusammen spielt man einem virtuellen Beobachter vor, man würde tatsächlich an dem Objekt Gefallen finden, und man verrät ihm dieses geteilte Geheimnis, dessen die Eingeweihten sich sicher fühlen, nicht. (Genauso, wie man sich, dem Psychoanalytiker Octave Mannoni zufolge, beim Beobachten eines Zaubertricks im Variété daran freut, gemeinsam mit dem Künstler und dem übrigen Publikum gegenüber einem virtuellen Zuseher das »als ob« des Übernatürlichen und des Glaubens daran aufrechtzuerhalten; siehe Mannoni 1985 : 9 .)
    Darum kann man zum Beispiel

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