Wofür es sich zu leben lohnt
Verachtung gegenüber Kultur, Schönheit und allem, was das Leben lebenswert macht. Bataille lehrt uns, dass wir gerade hier darauf achten müssen, nicht zu »fools« (im Sinne der Unterscheidung Mandevilles zwischen der naiven Kritikposition des Narren [fool] und der zynischen des Schurken [knave]; s. Mandeville 1980 ) zu werden; dass wir uns vor närrischen Argumentationen hüten müssen, die gegenüber einem schnöden, ökonomischen und effizienten Sein ein träumerisches, wunschgerechtes und vermeintlich humanes Sollen einfordern.
Die Gefahr einer Kritik, welche – ganz den alten philosophischen Spurrinnen der Frankfurter Schule und des theoretischen Humanismus folgend – meint, das spezifisch Humane gegen die Entfremdung und Verdinglichung; eine Rationalität der Zwecke gegen die überall vorherrschende Rationalität der Mittel etc. in Schutz nehmen und einfordern zu müssen; deren Tenor lautet, wir hätten den Menschen oder das Gefühl vergessen; die Gefahr einer solchen Kritik also ist nicht allein, dass die »knaves« (Schurken), gegen die die Kritik sich richtet, vielleicht grausam lachen und erwidern, sie hätten davon gar nichts bemerkt, und sie würden beim Gasgeben in ihren Maybachs auch eine ganze, vielleicht eben für uns nicht nachvollziehbare Menge Menschliches fühlen und empfinden. Wenn wir uns in der Kritik immer nur auf die zweite Hälfte einer von uns zuvor ontologisch sorgsam zweigeteilten Welt berufen und auf ihr insistieren, dann wäre es durchaus denkbar und naheliegend, dass unsere Gegner einfach entgegnen, dass sie eine solche zweite Hälfte noch nie wahrgenommen hätten und dementsprechend wohl auch nicht brauchen.
Die Gefahr ist jedoch in einer anderen Hinsicht noch viel größer. Eine solche Kritik liefert nämlich nichts als eine Klage, in die bezeichnenderweise am liebsten immer jene einstimmen, die von der beklagten Misere am meisten profitieren. Damit bekommt die Kritik sogar etwas zugestanden – und zwar schätzungsweise vielleicht etwa ein Promille der Summe, um die es in diesem Konflikt geht. Um dieses wenige Geld darf sie dann von Zeit zu Zeit das Gewissen einer Gesellschaft spielen, die dann ihrerseits den Vorteil daraus zieht, in der übrigen Zeit umso gewissenloser weitermachen zu können.
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Bataille hingegen würde seine Kritik ganz anders platzieren. Zunächst würde er die von humanistischen Kritikern und Kritisierten gleichermaßen geteilte Grundannahme bestreiten, dass diese Gesellschaft lediglich das Effiziente und Instrumentelle finanziert, das Kulturelle (das manchmal als das Menschliche wahrgenommen wird) hingegen einspart. Bataille würde die Annahme nicht unterschreiben, wonach diese Gesellschaft sparsam, zweckrational oder effizient wäre.
Batailles entscheidender Punkt ist vielmehr die These: Die Verschwendung ist immer da. Weil jede Gesellschaft Überschüsse produziert, verschwendet sie sie auch (s. Bataille 2001 : 298 ). Die Frage ist nur, wie. Hier treten die entscheidenden Unterschiede auf, unter denen wir heute leiden. Zur Verdeutlichung können wir übrigens Batailles These von der Universalität der Verschwendung mit einer These Freuds vergleichen. Freud lehrte nämlich, dass die Lust immer da ist. Entsprechend der materialistischen Voraussetzung des Demokrit, dass niemals etwas zu nichts werden kann, ist die Lust immer präsent – nur, wie Freud zeigt, eben nicht immer in der lustvollen Form. Sie kann auch als unbewusste Lust, in der manifest äußerst unlustvollen Form des neurotischen Symptoms auftreten. Dann genießen wir, ohne es zu bemerken. Wir halten dann sogar an den Symptomen, unter denen wir leiden, noch fest und verteidigen sie gegen jeden analytischen Heilungsversuch, weil in ihnen eben unsere Lust steckt; weil sie, wie Freud konstatierte, die »Sexualbetätigung der Neurotiker« sind.
Dasselbe kann man über unsere Kultur aus der Sicht Batailles sagen: Wir verschwenden, ohne es zu bemerken. Unsere Verausgabung existiert, aber nicht in der lustvollen Form der Großzügigkeit. Darum vernichtet unsere Gesellschaft ihre Überschüsse in der neurotischen und unlustvollen Form des unbewussten Genießens. [169] Der symptomale Ausdruck davon ist das Paar, das sich aus den verzweifelten Rufen nach noch mehr Effizienz und den Klagen über das Vergessen des Menschlichen komplementär und komplizenhaft zusammensetzt.
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Wenn wir uns vorzustellen versuchen, wie sich die Effizienz unserer Gesellschaft aus der Sicht von fremden,
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