Wofür es sich zu leben lohnt
beobachtenden Kulturanthropologen darstellen würde, so zeigt sich – ohne dass wir allzu viel Phantasie entwickeln müssten (denn schließlich gibt es bereits Wissenschaftler, die zu genau solchen Beobachtungen gelangen; s. Power 1994 , Strathern 2000 ) – ein klares Bild. Die fremden Beobachter würden sagen: Hier ist eine ehemals produktive Gesellschaft, die heute nur noch als die Verwaltungsetage der Weltfabrik fungiert. Sie betrachtet sich selbst vielleicht als effizient und produktiv, aber in Wahrheit legt sie ihre eigene Produktivität, wo sie nur kann, lahm.
Überall müssen Bremsen eingebaut werden, die dafür sorgen, dass keine nennenswerte Produktivität entsteht. Nehmen wir nur die Kunst: Da gibt es zum Beispiel die Brems- und Verzehrmechanismen der Kuratorenschaft und der Vermittlung, so dass auf jeden Künstler heute schon mindestens zwei Kuratoren und Vermittler kommen. Aber auch der verbleibende eine Künstler kann aufgrund dieser Umlagerung kaum noch produzieren; innerhalb seiner Arbeit nimmt das Künstlerische nur einen verschwindenden Anteil von weniger als 10 Prozent ein gegenüber dem Löwenanteil aus Kuratorenkommunikation, Marktbeobachtung, Selbstvermarktung, public relations, branding, socializing etc. Auch Kunstakademien tragen wirksam zur Produktionsbremsung bei, indem sie ihren Studierenden zum Beispiel versichern, dass der kreative Prozess mindestens ebenso wichtig sei wie das Resultat. Damit erreichen sie, dass den Studierenden nicht nur kein Resultat, sondern oft nicht einmal mehr ein Prozess gelingt.
Oder beobachten wir die Wissenschaft. Hier sehen wir Forscher, die anstatt zu forschen, nur noch über vergangenes Forschen berichten oder aber Anträge für zukünftige Forschungsvorhaben schreiben. Und anstatt dass Universitäten lehren würden, sehen wir, wie sie immer größere Anstrengungen darauf richten, ihre Lehre zu evaluieren, die Öffentlichkeit mit immer mehr PR zu strapazieren, ständig ihre Strukturen zu reformieren, neue Curricula und Abschlüsse zu entwickeln etc. Gleichzeitig hat sich gerade unter den Bedingungen einer vermeintlichen »Ökonomisierung« der Universitäten, wie manche beobachten können, »eine neue politische Transformationsfunktionärsfraktion herausgebildet, die diesen neuen Ökonomisierungsdruck zu ihrem politischen Karrieregeschäft macht« (Nitsch 2004 ). Eine gewaltige parasitäre Ansammlung von reformeuphorischen Wissenschafts- und Bildungsagenturen kreist die Institutionen von Forschung und Lehre ein, nimmt ihnen die Gelder weg und sorgt dafür, dass sie so gut wie nichts mehr hervorbringen.
Hier wird also, wie Bataille folgern würde, massiv verschwendet. Aber so, wie es Gesellschaften gibt, die wissen, dass sie zaubern, und solche, die es nicht wissen [170] (die Praktiken unserer permanent evaluierenden Gesellschaft werden übrigens von den Kulturanthropologen mittlerweile unter dem Schlagwort »audit society« zusammengefasst und als Form zeitgenössischer Magie beschrieben; s. Power 1997 , Schwarz 2006 ), gibt es eben auch Gesellschaften, die wissen, dass sie verschwenden, und solche, die das nicht wissen und nicht wahrhaben wollen. Man muss jedoch auch den Nichtwissenden zugestehen, dass sie imstande waren, sehr wirksame Mechanismen der Verschwendung zu entwickeln; Mechanismen, die in der Lage sind, in großem Maßstab Ressourcen zu verschlingen. Weil sie es aber eben nicht wissen, entgeht diesen Gesellschaften dabei der zauberhafte Glanz – der Glamour ihrer Verschwendung – und sie kennen das Gefühl der Großzügigkeit nicht.
Darum würde Batailles Kritik gegen die Proponenten des Effizienzfiebers ganz anders lauten als die geläufigen Kritiken. Bataille würde weder sagen: Gebt uns doch ein bisschen Geld, damit die menschliche Seite nicht ganz vergessen wird. Er würde auch nicht sagen: Seht her, auch wir sind manchmal effizient und bringen einen unvorhergesehenen Nutzen hervor.
Bataille würde vielmehr sagen: Reden wir einmal offen. Wir sehen ja ein, dass wir bisher vielleicht nicht genug verschlungen haben. So hattet ihr Grund, uns durch wirksamere Verschwendungsapparate zu ersetzen. Aber gebt uns doch einfach probeweise noch einmal die Mittel, die ihr jetzt für Spindoctoren, Evaluierungsgendarmen, Reformprediger, Bildungsagenturen etc. hinauswerft, und ihr werdet sehen: Wir werden es glanzvoll fertigbringen, diese Ressourcen bis auf den letzten Cent in lustvollen kulturellen und kulturtheoretischen Verausgabungen zu
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