Wofür es sich zu leben lohnt
dass wir sie auf der Straße gefunden oder selbst geschenkt bekommen haben. Diese Objekte besitzen sozusagen den Status »heißer Kartoffeln«. Sie sind etwas, das man niemals für sich selbst angefertigt oder im Geschäft gekauft haben möchte. Insofern sind sie dem profanen Mechanismus des Erwerbs, Herstellung oder Kauf, entzogen. Wir brauchen andere Leute, Gleichgesinnte, um diese prekären oder sogar obszönen überschüssigen Dinge sozusagen zu entschärfen. Sie können nur als »Gaben« im Sinne von Marcel Mauss gehandhabt werden (s. Mauss 1989 ). Nur ihr Verschenken ermöglicht ihre ästhetische Erfahrung und versichert gegen die Angst, selbst als Träger eines kitschigen Geschmacks betrachtet zu werden.
So sehr die Ready-mades von Marcel Duchamp ihre Auswahl sowie ihre Bedeutung der speziellen Ikonographie des Künstlers verdanken (s. dazu Zaunschirm 1983 ), ist gerade die Gleichgültigkeit ihrer kunstfremden oder trivialen Herkunft – die viele Kommentatoren zu einer eher irreführenden »Provokationstheorie« veranlasste – dem Umstand geschuldet, dass sie dem Künstler als Funde wahrnehmbar waren. Die Freude, die er an ihnen entwickeln konnte, verdankte sich ihrer Natur als Gaben, die vom Anderen her kamen.
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Wenn Bataille versichert, dass alle Gesellschaften Überschüsse produzieren und mithin vor der Notwendigkeit stehen, sie großzügig und glamourös zu verausgaben, so scheint es doch historische Unterschiede zu geben, die gerade uns heute besonders leidvoll ins Auge stechen.
Bei einer Untersuchung zum Glamour und seiner Verteilung in verschiedenen Epochen ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass wir heute die Zeit vor etwa 40 Jahren als besonders glanzvoll und stylish empfinden (dies kommt z.B. in der Nostalgie der Autoindustrie zum Ausdruck: in der Wiederaufnahme von Designs der 60 er Jahre wie Mini, Ford Mustang, Ford GT 40 ; oder auch der Reprints von älteren, aber in den 60 er Jahren zu besonderer Popularität gelangten Typen wie Fiat 500 und VW Käfer). Unsere eigene Zeit hingegen kommt uns schal und wenig glamourös vor; und darin irren wir uns wohl nicht. Wir können uns kaum vorstellen, dass unsere heutigen Designs einer Epoche in 40 Jahren besonders verführerisch erscheinen könnten. Die von uns bewunderte Epoche hingegen war sich selbst ihres Glanzes durchaus bewusst – das zeigt sich unter anderem daran, dass sie keine der unseren vergleichbare Nostalgie nach einer anderen Zeit hegte.
Bei der Sichtung von Material aus dieser Zeit bin ich auf Fernsehaufnahmen über den Rennfahrer Jochen Rindt gestoßen. Man sah darin zum Beispiel, wie der spätere, posthum gekrönte Weltmeister während des Trainings über einem Reifenstapel einsam auf der Boxenmauer sitzt und eine Zigarette raucht. In einer anderen Sequenz sieht man, wie Rindt unmittelbar nach einem Rennsieg zusammen mit anderen auf der Ladefläche eines Lastwagens steht, der die Gruppe offenbar zur Siegerehrung fährt. Man sieht Rindts schmutziges Gesicht mit dicken schwarzen Streifen unter den Augen (denn damals trugen die Piloten noch keine Vollvisierhelme) und sieht ihn lachen. – Ich glaube, es gibt wenig, das diesen schlichten Aufnahmen an Glamour gleichkommt.
Man liegt wahrscheinlich nicht falsch, wenn man diesen Glamour, abgesehen vom Zeitkolorit und der Mode etc., mit der Figur des Rennfahrers in Verbindung bringt. Die überschäumende Freude zeigt sich umso mehr als Lebensfreude, je stärker die Bilder von der (heute unvorstellbaren) Einsamkeit des Piloten in der Trainingspause oder des Schmutzes in seinem Gesicht zugleich das Zerbrechliche seines Glücks und das eminent Gefährliche seiner Tätigkeit – in dem aus Gewichtsgründen extrem fragil konstruierten Lotus – vor Augen führen (ein Eindruck, der klarerweise durch das Wissen um den tragischen Tod des Piloten noch verstärkt wird).
Dass Rindt sich der Gefahren in sehr hohem Maß bewusst war, ist durch zahlreiche Äußerungen und überlieferte Details belegt. Philosophisch interessant ist hier der Umstand, dass sich dadurch an diesen Bildern die besondere und etwas paradoxe Struktur dessen erkennen lässt, was man Lebensfreude nennt: Diese strahlende Liebe zum Leben ist nur möglich für jemanden, der bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen (und dies ohne jede kokette Todessehnsucht oder blinde Waghalsigkeit). [167] Seine ständigen Auslotungen von Grenzen – schon als kleiner Junge soll er der Einzige gewesen sein, der es schaffte, auf eine
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