Wofür es sich zu leben lohnt
Lebens.
Dementsprechend sind die militanten Tragiker, die zwar kämpfen, aber sich keinen wünschenswerten Zustand dieser Welt vorstellen können, die Zwillinge jener politisch abstinenten Postmodernen, die meinen, dass es auf der Welt nichts gäbe, wofür es sich ernsthaft zu kämpfen lohnt. Es besteht eine grundlegende Komplizenschaft zwischen metaphysischer Askese und Spaßkultur. Darauf hat bereits der Kulturtheoretiker Johan Huizinga hingewiesen, als er betonte, dass die vermeintlich hedonistische Idee, es gäbe keine Wahrheit und die ganze Welt sei bloß Spiel beziehungsweise Theater (oder – wie die Dekonstruktivisten meinen: Literatur), zugleich die Ausgangsannahme der finstersten asketischen christlichen Metaphysiker ist (s. Huizinga 1956 : 7 , 12 ). Denn die grundlegende metaphysische Operation besteht darin, Wahrheit und Freiheit anderswo anzusiedeln als auf der Welt und im Glück. Alle Spielarten der Metaphysik (das heißt: des philosophischen Idealismus) beruhen auf der Annahme einer solchen Spaltung. Sie unterscheiden sich lediglich untereinander durch die Präferenz, die sie einer der beiden Seiten zuerkennen (z.B. für die Freiheit und gegen das Glück; oder für das Glück und gegen die Wahrheit etc.).
Für die Theorie der Komödie lässt sich daraus die Schlussfolgerung gewinnen, dass die postmoderne Spaßkultur, die alles ins Lächerliche oder ins Dekonstruktiv-Ungewisse ziehen will, keineswegs, wie sie selbst oft glaubhaft machen möchte, eine Verbündete der Komödie ist. Vielmehr ist diese Spaßkultur metaphysisch. Sie steht damit der Tragödie nahe und ist eine philosophische Hauptgegnerin des Materialismus, den die Komödie behauptet. Daraus wird verständlich, weshalb eine Epoche, die den Spaß so sehr auf ihre Fahnen geschrieben hat wie die Postmoderne, im Vergleich zu den von ihr selbst als viel ernsthafter eingestuften Perioden der 60 er und 70 er Jahre in Film und Theater so verschwindend wenig gute Komödien hervorgebracht hat. Allgemeiner lässt sich daraus erkennen, weshalb der postmoderne Hedonismus in eine Kultur voller Ängstlichkeiten, Hemmungen, Ekelgefühle und Verbote geführt hat. Er ist eben kein materialistischer Hedonismus, der als Erstes die Frage nach dem guten Leben stellt.
Für die politische Theorie lässt sich die Konsequenz ziehen, dass Christentum und militante Askese keine geeigneten Gegenmittel zu postmoderner Beliebigkeit und spaßkulturellem Hedonismus sein können. Anstatt deren Gegenteil zu sein, ist die christliche Askese nur ihr seitenverkehrtes Spiegelbild – ihr »epistemologisches Double« im Sinn Gaston Bachelards (s. Bachelard 1949 : 5 ). Mit der Spaßkultur wirklich zu brechen bedeutet darum auch, mit dem tragischen Paradigma der christlichen Weltauffassung zu brechen. Daraus erklärt es sich, weshalb Slavoj Žižek seine ersten, emphatischen, aber nicht ohne Humor vorgetragenen philosophischen Parteinahmen für das Christentum später stark relativiert und präzisiert hat (s. Žižek 2004 a).
1 . 2 . The Awful Truth?
Aus der von der Komödie vertretenen materialistischen These, dass diese Welt die einzige und beste ist, die wir haben, und dass alles Großartige, wenn überhaupt, dann nur auf dieser Welt großartig sein kann, folgt schließlich auch eine erkenntnistheoretische Position. Wie jeder echte Materialismus unterhält die Komödie ein unproblematisches Verhältnis zur Wahrheit. [53] Die Komödie lehrt, man kann die Wahrheit erkennen. Das zeigt sich zum Beispiel schon an den einfachsten Formen der Verwechslungskomödie: Dort ist zu sehen, wie jemand eine andere Person, etwa aufgrund eines Kostüms, für eine dritte Person hält – und damit wird den Zuschauern in elementarer, hellsichtiger Weise das gesamte Prinzip des Theaters selbst vor Augen geführt. Die Komödie ist voll von solchen selbstreflexiven Momenten und Verfremdungs-Effekten, und gerade diese Erkenntnisse sind in der Komödie das Amüsante und erzeugen die für sie charakteristische Lust. [54]
Das ist besonders deutlich im 18 . Jahrhundert an den extrem selbstreflexiven und eben darin dem Prinzip der Komödie verpflichteten Romanen Lawrence Sternes und Denis Diderots zu sehen; aber ebenso, auf aktueller alltagskultureller Ebene, an der erstaunlichen, ihr Genre thematisierenden Selbstreflexivität von Horrorkomödien wie »Scream« (bzw. deren Nachfolgern »Scream 2 « und »Scream 3 «). Dort kann man so beachtliche Sätze hören wie zum Beispiel: »Bitte sag jetzt
Weitere Kostenlose Bücher