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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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als sie glauben, tut dies nur, um ihnen mit dem nächsten Satz nahezulegen, dass sie an ihrer Misere selbst schuld sind. Sie sind, dem Idealismus zufolge, deshalb schuld und unfrei, weil sie sich selbst nicht in ausreichendem Maß als frei, d.h. als Subjekte, erfahren.
    Gerade unter neoliberalen Verhältnissen hat diese idealistische Denkfigur ihre ideologische Funktion deutlich vorgeführt: Ständig wurde seit den 90 er Jahren den Individuen Handlungsmacht eingeredet, und wo sie sie noch nicht hatten, wurden sie zur Aneignung animiert: Sie sollten sich als Unternehmer oder als »Ich- AG s« fühlen, und in der Folge sollten sie sich dann auch für ihr berufliches Scheitern und für das Fehlen von sozialer Absicherung selbst verantwortlich fühlen, anstatt die Ursache in den Verhältnissen zu suchen und dort auf Veränderung zu drängen. Dasselbe gilt, wie zuvor bemerkt, auch für die Rauchverbote: Sie geben vor, den freien Willen und das Eigene der Individuen zu stärken – nun müssen sie sich keinen fremden Rauch mehr gefallen lassen; freilich werden sie dann im nächsten Schritt für etwaige Krankheit selbst haftbar gemacht. Auch auf kultureller Ebene sollten alle ganz sie selbst sein und darauf pochen; jeder soll nach postmodernem Geschmack seine Identität pflegen und »seine eigene Geschichte erzählen« – und nicht etwa auf etwas hinarbeiten oder etwas für sich beanspruchen, das auch für andere relevant sein könnte.
    Der Idealismus – und mit ihm die Tragödie – hält die Individuen also für Subjekte, wirft ihnen vor, dass sie selbst es nicht täten, und operiert folglich mit dem Begriff der Schuld. [65] Die Komödie hingegen legt, hellsichtiger, den Blick auf die determinierende – sei es soziale, sei es unbewusst-psychische – Mechanik dort frei, wo die Figuren sich für selbstbestimmt halten. Sie erweist die vermeintlichen Subjekte als bloße Individuen. Und sie zeigt, dass der Grund ihrer Unfreiheit nicht darin liegt, dass sie ihre Freiheit nicht wahrhaben wollen, sondern darin, dass sie sich gerade dort frei fühlen, wo sie es nicht sind. Das Problem liegt also nicht in einem Mangel, sondern in einem Überschuss an Subjekterfahrung durch die Subjekte. Und an diesem Überschuss sind sie nicht selbst schuld; er tritt vielmehr mit Notwendigkeit auf [66]  – mit der Unvermeidlichkeit komödiantischer Missverständnisse: Die Figuren erfahren sich ständig als frei, wo sie es gar nicht sind; genau darum lassen sie sich noch viel bereitwilliger herumschubsen. Die Aufwandsdifferenz zwischen dem kostbaren Selbstbild der Figuren und dem kläglichen Bild, das sie – als oft sogar noch aktiv mithelfende Opfer der Mechanik – nach außen zeigen, kommt dann den Zuschauern als überschüssige Energie zugute, die von ihnen abgelacht werden kann. [67]
    Komisch ist man immer dann, wenn man es für andere ist – auch wenn man selbst vielleicht durchaus gute Gründe dafür haben mag, weshalb man etwas genau so macht und nicht anders. Die Komödie hält materialistisch daran fest, dass die Bedeutung der Dinge in ihrer Relevanz für andere liegt. Das ist das Prinzip vom Vorrang der Erscheinung, das die Komödie gegen die entgegengesetzte Auffassung der Tragödie behauptet. In der Tragödie glauben die Figuren an sich selbst und werden von der Welt – zu Unrecht, wie die Tragödie suggeriert –, nicht als das erkannt, wofür sie sich halten. Tragisch ist es, wenn jemand ganz Bestimmter nicht als solcher erkannt und einfach für irgendjemanden gehalten wird.
    In der Komödie dagegen müssen die Figuren – oft kopfschüttelnd – erkennen, dass man sie für etwas Bestimmtes hält, dessen Rolle sie dann, der Welt zuliebe, gegen ihren eigenen Willen und gegen ihre eigene Selbsteinschätzung spielen müssen. Das Komödiantische besteht darin, dass irgendjemand, der sich nicht dafür hält, für etwas ganz Bestimmtes gehalten und dadurch gezwungen wird, es zu sein. Am Beispiel der Liebe lässt sich das deutlich erkennen: In der Tragödie glauben Romeo und Julia an ihre Liebe und scheitern damit an der Welt, die diese Liebe für unmöglich hält. In der Komödie ist es genau umgekehrt: Die Heldin und der Held in Alfred Hitchcocks Agentenfilm »Die 39 Stufen« zum Beispiel müssen, von ihren Gegnern mit Handschellen aneinandergekettet, durch das schottische Hochmoor flüchten, wobei sie einander hassen. Aber alle, denen sie begegnen, halten sie für ein innig verliebtes Paar. Nicht sie selbst, aber die

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