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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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Dementsprechend wird er nicht der Ermahnung oder Strafe, sondern vielmehr der Hilfe bedürfen.
    Sosehr die Neidigen durch ihren Neid bestraft werden, halten sie doch zugleich verbissen an ihm fest – so, als wollten sie ihre eigene Strafe. Das Festhalten an solchen Vorstellungen bezeichnet Spinoza als »Leidenschaft der Trauer« bzw. als »trübsinnige Leidenschaft«. [109] Trübsinnige Leidenschaften machen ihre Träger immer äußerst unglücklich; aber zugleich lassen diese sie sich niemals wegnehmen, sondern beharren auf ihnen, als wären sie ihr kostbarster Besitz. Es verhält sich wie in dem von Freud zitierten Wortspiel Schleiermachers: »Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft« (s. Freud [ 1905  c]: 36 ). Freud hat diese Leidenschaft, diese versteckte Lust, die niemals bewusst als lustvoll erfahren wird, sondern sich an ihren Trägern als Leiden äußert, als »neurotische Unlust« bezeichnet (s. Freud [ 1920  g]: 220 ). [110]
    Es steckt also ein Stück Glück in diesem Unglück des Neides. Das ist der Grund, weshalb dieses Unglück nicht aufgegeben, sondern wie ein wertvoller Schatz verteidigt wird: Der Neidige will vom Neid nicht ablassen – ebenso wenig wie der Eifersüchtige von seiner Eifersucht oder der Untröstliche von seiner Untröstlichkeit. Ja, es kommt vor, dass bestimmte Unterdrückte, wie Spinoza bemerken musste, sogar für ihre eigene Unterdrückung kämpfen, als wäre sie ein Glück (s. Spinoza 1967 : 10 ). Der Soziologe Richard Sennett hat diese Tatsache für moderne Gesellschaften anhand bestimmter Formen von neurotischen Autoritätsverhältnissen aufgezeigt (s. Sennett 2008 : 160 ).
    7 . Der Neid als Kinderkrankheit im politischen Kampf
    Der Philosoph Slavoj Žižek hat den Neid als typischen Affekt bei aktuellen christlichen wie muslimischen Fanatikern erkannt. Diese Fanatiker sind darum, so Žižek, auch bloß Pseudofundamentalisten, und keine wahren religiösen Fundamentalisten. Denn:
    »Ein Merkmal kennzeichnet alle wahren Fundamentalisten, von tibetanischen Buddhisten bis zu den Amischen in Nordamerika, nämlich der Mangel an Ressentiment und Neid, ihre tiefe Gleichgültigkeit gegenüber der Lebensweise der Ungläubigen. Warum sollten sie sich von Ungläubigen bedroht fühlen, warum sollten sie sie beneiden, da wahre Fundamentalisten doch der Überzeugung sind, sie hätten ihren Weg zur Wahrheit gefunden? Wenn ein Buddhist einem westlichen Hedonisten begegnet, verurteilt er ihn keineswegs, sondern stellt wohlmeinend fest, das Glücksstreben des Hedonisten bewirke genau das Gegenteil dessen, was dieser erreichen möchte. Der Kontrast zu den terroristischen Pseudofundamentalisten, die das sündige Leben der Ungläubigen zutiefst beunruhigt, fesselt und fasziniert, könnte gar nicht größer sein. Man spürt förmlich, daß ihr Kampf gegen den sündigen Anderen im Grunde ein Kampf gegen ihre eigene Versuchung ist. Ein sogenannter christlicher oder muslimischer ›Fundamentalist‹ ist eine Schande für den wahren Fundamentalismus.« (Žižek 2006 )
    Darum zeugen der gewalttätige Kampf der religiösen Fanatiker und »die leidenschaftliche Intensität des Pöbels«, so Žižek,
    »von einem Mangel an wahrer Überzeugung. Der fundamentalistische islamische Terror gründet auf der Überzeugung der Terroristen, sie seien überlegen, oder auf ihrem Wunsch, ihre kulturell-religiöse Identität gegen den Übergriff der globalen Konsumzivilisation zu schützen. Das Problematische an ›Fundamentalisten‹ ist nicht, daß wir der Meinung sind, sie seien uns unterlegen, sondern daß
sich selbst
insgeheim minderwertig vorkommen (so wie sich offenkundig Hitler gegenüber den Juden minderwertig vorkam).« (Žižek, ebd.)
    Daraus ergibt sich eine entscheidende politische Schlussfolgerung, die nicht nur religiöse Fanatiker, sondern alle politisch Engagierten betrifft: Der Neid ist alles andere als ein Motor von politischer Aktion oder von vernünftigen Gerechtigkeitsbestrebungen, wie der amerikanische Philosoph John Rawls mit Recht festgestellt hat (s. Rawls 1975 : 585 ).
    Vielmehr ist der Neid eine typische »Kinderkrankheit« emanzipatorischer Bewegungen. Er beruht schließlich auf dem Narzissmus – und der Narzissmus ist, der Psychoanalyse zufolge, die typische Kinderkrankheit schlechthin: als primärer Narzissmus ein notwendiges Durchgangsstadium für junge Menschen; als sekundärer Narzissmus eine fatale Regression von Erwachsenen – so wie ja auch

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