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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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Handlungen und Erwartungen zum Ausdruck brächte. Die Faszination durch die Liebe des Anderen, welche die drei Typen antreibt, ist zugleich das Bild des äußersten Horrors für sie. Darum sorgen sie, während sie ihm vermeintlich nachjagen, zugleich durch viele Vorsichtsmaßnahmen (wie eben z.B. durch uferlose Überflutung) – ganz ähnlich übrigens wie die ebenso auf Abschreckung bedachten Exhibitionisten – klug dafür, dass es immer auf Distanz bleibt. Auch hier gilt die darum treffende Formel von Klaus Heinrich, wonach Faszination dasjenige ist, worin die Menschheit sich über ihre Bedürfnisse »auf dem Stockenden« hält (s. Heinrich 1995 : 7 ). Das vermeintliche Leiden an der unerwiderten Liebe, über das der Eifersüchtige und der tragische Romantiker so gerne klagen, ist in Wahrheit ihr ganzes Glück. Nur so können sie diese volle Intensität ihrer unbegrenzten Leidenschaft auf den Anderen richten; durch jede reale Erwiderung würde diese hingegen ihre Fragilität und Begrenztheit unter Beweis gestellt bekommen.
    6 . Das Unglück, von dem wir nicht lassen können.
Und das Laster, das seine eigene Strafe ist
    Hieran zeigt sich, dass der Neid keineswegs auf einem Mangel beruht. Vielmehr steckt in ihm immer ein bestimmter Überschuss: Der Neidige hält am Überschuss eines unmöglich gewordenen Glücks fest. Er genießt es, sich ein unmöglich gewordenes narzisstisches Glück als etwas Mögliches, nur leider zufällig beim Anderen Angesiedeltes vorzustellen. Allerdings machen diese Vorstellung und dieses Genießen den Neidigen – der immer schon ein Erwachsener oder wenigstens ein älterer Bruder, jedenfalls ein dem primären Narzissmus Entwachsener sein muss – nicht froh. Sie leiden darunter furchtbar. [108]
    Darum kann man das Laster des Neides auch als seine eigene Strafe bezeichnen (s. dazu Ernst 2006 : 71 ). Dies gilt bezeichnenderweise für alle sieben der sogenannten »Todsünden«. Sie sind allesamt selbststrafende Mechanismen (so straft sich die Völlerei durch Dickwerden, Unbeweglichkeit und rasche Erschöpfung; Hochmut wie Geiz strafen sich durch Versagung von Lust; die Trägheit des Herzens durch unüberwindliche Traurigkeit; die Wollust durch zunehmende Abhängigkeit bei gleichzeitiger inflationärer Entwertung des Objekts; der Zorn durch die Unfähigkeit zur Beruhigung). Wie Sucht und Zwang beruhen sie auf dem Prinzip der Ambivalenz und bringen dadurch zugleich mit der vermeintlichen Belohnung auch deren Bestrafung mit sich (s. dazu Pfaller 2002 : 122 ff.).
    Insofern sind die »Todsünden« der Institution des »Tabu« der Stammeskulturen vergleichbar, das als selbststrafender Mechanismus weder Polizei noch Strafjustiz zu seiner Einhaltung benötigt: »Das verletzte Tabu rächt sich selbst« (Freud [ 1912 – 13 ]: 312 ). Die »Todsünden« dürften darum einen religionsgeschichtlich weitaus älteren Bestand darstellen als zum Beispiel die zehn Gebote, bei denen die jeweilige Tat bereits von ihrer Bestrafung verschieden ist und die darum ein Inventar von Institutionen der Überwachung und Strafe benötigen. Bezeichnenderweise sind die »Todsünden«, im Unterschied von den durch die zehn Gebote untersagten Handlungen, auch gar keine Taten; es sind vielmehr »Laster«, das heißt: Formen von Affektorganisation. Vor ihnen zu warnen ist weniger die Aufgabe einer zwischen »Gut« und »Böse« unterscheidenden religiösen Moral als vielmehr einer Ethik, die wie die Medizin oder die Lehre von den Diäten zwischen »Gut« und »Schlecht« (oder zwischen »Bekömmlich« und »Schädlich« beziehungsweise zwischen »Unbedenklich« und »Selbststrafend«) unterscheidet (s. dazu Deleuze 1988 : 32 ff.). Eine solche Ethik wurde nur von den alten, »primären« Religionen als zentrale Aufgabe der Religion betrachtet, während sie von den späteren, »sekundären«, monotheistischen Religionen nur mehr bedingt oder gar nicht wahrgenommen wurde. Diese Aufgabe konnte dann von säkularen Einrichtungen wie z.B. der Philosophie oder der Psychotherapie übernommen werden. Bezeichnend ist dafür übrigens, dass jemand, der einer der sieben Todsünden verfällt, ja auch nicht als deren grammatikalisches, handelndes Subjekt in Betracht kommt: Er kann nicht wie bei den religiösen Geboten z.B. sagen: »Ich stehle« oder »Ich lege falsches Zeugnis ab«, sondern er sagt: »Mich frisst der Neid« oder »Mich packt die Gier«. Nicht der Sünder hat oder begeht hier eine Sünde; vielmehr hat die Todsünde ihn.

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