Wofür es sich zu leben lohnt
in die Heftigkeit unserer Wünsche und mehr in die Verwandlung der Außenwelt.
Wenn es nun aber einmal passiert, dass diese Außenwelt nicht unserer reifen Unterscheidung zwischen Wünschen und Wahrmachen, sondern vielmehr unserem infantilen narzisstischen Glücksmodell vom bloßen Wünschen entspricht, dann erfasst uns die Empfindung des Unheimlichen. Wenn wir zum Beispiel jemandem den Tod wünschen, und der Arme fällt daraufhin tatsächlich tot um, dann ist das für uns Erwachsene kein lustvoller Triumph mehr; es ist kein Beweis für die einst lustbesetzte vermeintliche magische »Allmacht« unserer Gedanken, sondern vielmehr eine sehr unlustvolle, mit Angst besetzte Erfahrung (s. Freud [ 1919 h]: 262 ). Der »Mangel« an magischer Allmacht sowie an Übereinstimmung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, den wir bereits akzeptiert hatten, scheint nun von der Wirklichkeit selbst beseitigt; er beginnt zu fehlen, also zu »mangeln« – und dieses »Mangeln des Mangels« ist, nach Jacques Lacans scharfsinniger Formulierung, die strukturelle Bedingung für Angst (s. Lacan 2004 : 53 ). So, wie das
Unheimliche
, Freud zufolge, das
ehemalige
, nun unmöglich gewordene
»Heimliche«
, also Vertraute, Geborgene ist, kann man auch das
Unlustvolle –
im Unterschied zum Schmerzlichen – als das
ehemalige Lustvolle
bezeichnen, das nun unmöglich geworden ist. [105]
Denn so sehr der partielle Erfolg über unseren Feind uns freuen könnte – er wird durch etwas viel Schlimmeres konterkariert: durch den Verlust von Welt. Wenn wir doch zaubern können, dann haben wir keine vom Ich verschiedene Außenwelt mehr vor uns, und das erzeugt Angst. Der magische Teilerfolg verursacht einen totalen Weltverlust: Es ist so, wie wenn uns der Räuber, der uns soeben mit vorgehaltener Waffe unser Geld abgenommen hat, es uns gleich danach doch zurückgäbe, aber nicht ohne uns dabei zu erschießen (vgl. dazu Lacan 1980 : 223 ). So sehr wir es uns also manchmal wünschen, das Wetter, unser Alter oder die Uhrzeit verändern zu können – wenn die Fee des Märchens erschiene und uns totale Verfügungsgewalt über diese Parameter anböte, müssten wir wohl klugerweise dankend ablehnen. Würden wir tatsächlich magische Allmacht »genießen«, so wäre das nichts als entsetzlich für uns.
Dasselbe Motiv ist auch bei der Eifersucht wirksam. Was der Eifersüchtige nicht sehen will, ist, daß er die Liebe der geliebten Person in Wahrheit nicht ertragen würde. Denn es ist tatsächlich nicht immer einfach, die Liebe eines ersehnten Anderen zu akzeptieren. Die Erwiderung unserer Liebe »genießen« zu müssen, kann ein Horror sein. Wenn der Andere unsere Liebe erwidert, gefährdet er nämlich unter Umständen genau dadurch unsere Liebe; er droht sie damit zu ersticken. Nicht wenige Beziehungsdramen nehmen an diesem Problem ihren Ausgang (s. dazu Verhaeghe 2009 : 33 ff.). Von der Liebe des Anderen scheint manchmal eine Art »Liebesdrohung« auszugehen: und zwar genau dann, wenn die Liebe als etwas Uferloses, Unbegrenztes und Rücksichtsloses aufgefasst oder betrieben wird. [106] Dann gilt – wie bei jeglichem Neid – die fatale Formel
»Das
[z.B. die Liebe]
kann nur einer von uns beiden haben«
. Eifersucht entsteht darum dort, wo jemand die eigene Liebe mehr liebt als die geliebte Person – und vor allem: mehr als deren Liebe.
Wirklich Lieben hingegen heißt, den Anderen nicht einfach rücksichtslos mit Liebe überschütten, sondern vorsichtig das Ausmaß der gezeigten eigenen Liebe darauf abstimmen, was der Andere zu erwidern imstande ist. Von diesem Problem will der Eifersüchtige, genau wie der ständig unglücklich verliebte Romantiker sowie auch der ihnen artverwandte Typus des Stalkers, nichts wissen. Sie alle sind »Erotomanen« – in der strikten Bedeutung dieses Begriffs: Sie genießen es, einen gleichsam wehrlosen Anderen (der am besten oft gar nichts davon zu wissen braucht), ohne jede Rücksicht mit Liebe zu beschicken. [107] Dabei stellen sie es sich als das größte Glück vor, wenn der Andere diese uferlose Liebe einmal erwiderte. Doch genau dieses Glück wäre in Wirklichkeit für alle drei der genannten Typen von Erotomanen der größte Schrecken: Es gäbe nichts Schlimmeres, Ernüchternderes und Profanierenderes für die »heilige« Passion eines Eifersüchtigen, eines Romantikers oder eines Stalkers, wenn das geliebte Opfer seinerseits plötzlich »Ernst machte«, anfinge, die Liebe zu erwidern, und dies in konkreten
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