Wofür es sich zu leben lohnt
eine narzisstische Logik. Dem Neider wird der beneidete Andere zu »seinem Anderen«, das heißt: zu dessen gesamter übriger Welt, zu dessen »absolutem Horizont«. [115] Darum lautet die narzisstische Parole immer:
»Du oder ich (aber nicht wir beide)«.
Und, in der Folge:
»Wenn du, dann nicht ich«
, beziehungsweise umgekehrt:
»Wenn du nicht, dann ich«.
Dies führt zu den für die neidische Haltung bezeichnenden, völlig realitätsfernen Verhaltensmustern, zum Beispiel:
»Wenn du es hast, dann kann ich es nicht haben«
– ein Satz, der spätestens durch die industrielle Reproduzierbarkeit zahlreicher begehrenswerter Objekte weitgehend ungültig geworden ist. Und noch wirklichkeitsferner ist seine Umkehrung:
»Wenn du es nicht hast, dann habe ich es.«
Hier verhält sich der Neidige tatsächlich so, als ob es nichts Drittes und niemand Dritten gäbe. Da der beneidete Andere für ihn alles Andere, die gesamte übrige Welt ist, kann es gar nicht passieren, dass das kostbare Objekt jemandem Dritten zufällt oder auch, zum Beispiel als zerstörtes, ohne jeden Besitzer bleibt. Es gibt hier keine »Triangulierung« durch eine solche dritte Seite; durch eine kontingente Umgebung, in der das Objekt sich zufällig (bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit) auch befinden könnte. Es ist vielmehr mit Notwendigkeit entweder beim Anderen oder beim Neider. [116]
Das Universum des Neiders ist somit von einer strikten Ausschließlichkeit zwischen dem Ich und seinem Anderen geprägt – sowie von einer ebenso strikten Einschließung der gesamten Welt in diese Alternative. Dadurch, dass es nichts Drittes und mithin nichts Kontingentes gibt, ist es ein vollkommen durch Notwendigkeit bestimmtes, a priorisches Universum, ohne jede Außenwelt. Nichts erschließt sich erst a posteriori. Insofern alles notwendig ist, ist es zugleich sinnvoll – das heißt: mit einem Bezug auf das Ich ausgestattet. Auch der Andere ist kein wirklicher Anderer, sondern lediglich ein alter ego, ein Doppelgänger. [117] Seine Alterität ist lediglich imaginär. Es ist ein Trugbild, das auf eine vorhandene, wirkliche Person projiziert wird. Diesem Trugbild eines scheinbaren Anderen gegenüber ist das Ich des Neiders in Wahrheit mit sich selbst alleine.
Ebenso ist das Ding, um das der Andere beneidet wird, kein wirkliches Objekt – bezeichnenderweise vermag es ja auch keine wirkliche Freude zu bereiten, sondern muss auf sehnsüchtige Distanz gehalten werden. Es ist auch insofern kein wirkliches Objekt, als es lediglich an ein wirkliches Objekt, oder an einen Zug davon, »angelehnt« ist. Daher rührt seine Unbestimmbarkeit als »gewisses Etwas«: Das wirkliche Objekt selbst oder der Zug alleine würden, bei Licht besehen, niemals das Aufheben rechtfertigen, das der Neider um sie macht. Niemand würde ihn darin verstehen. Darum kann er – genau wie der Fetischist seinen Fetisch [118] – sein Objekt oder dessen Zug niemals adäquat benennen, sondern sich höchstens an dessen Heimlichkeit und Uneinsehbarkeit für andere erfreuen. Ihren besonderen Wert verdanken solche Objekte alleine dem besonderen Blick des Neiders; durch ihn wurden sie mit etwas Zusätzlichem aufgeladen. Das Neidobjekt hat, wie zum Beispiel in der Verliebtheit, eine gewaltige Idealisierung durch den Neider erfahren. Und diese Idealisierung besteht, Freud zufolge, eben darin, »daß das Objekt so behandelt wird wie das eigene Ich« (Freud [ 1921 c]: 105 ). Im Neidobjekt, das aus dem wirklichen Objekt oder dessen Zug plus der Aufladung durch den Neider zusammengesetzt ist, liebt der Neider ein Stück von sich selbst – und zwar ein Verlorengegangenes. [119]
Dies gilt, Freud zufolge, für einen beträchtlichen Teil der Liebe: Man liebt – nach dem »narzißtischen Typus« der Objektwahl – in der anderen Person das, was man selbst war (z.B. das entzückende junge Wesen), oder was man idealerweise sein möchte; oder man liebt »die Person, die ein Teil des eigenen Selbst war« (s. Freud [ 1914 c]: 56 ). Jede Liebe dieses Typus hat also nach Freud etwas Nostalgisches an sich. Daraus erklärt sich auch das typische Rückwärtsgewandte des Neides: Wir beneiden Junge um ihre Jugend, niemals dagegen Alte um ihr Alter (oder um die damit verbundenen Vorteile wie Erfahrung, Weisheit, Ruhe, Würde etc.). Walter Benjamin hat diese Neidlosigkeit gegenüber der Zukunft als charakteristisches Merkmal von geschichtlicher Existenz erkannt (s. Benjamin [ 1940 ]: 693 ).
In jedem Neidobjekt
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