Wofür es sich zu leben lohnt
wird also wie in jedem geliebten Objekt ein Stück verlorengegangenes Ich geliebt beziehungsweise geneidet. Und dieses Stück von verlorengegangenem Ich ist das Ich des primären Narzissmus, wie es nach dessen Überwindung erscheint (s. Freud [ 1919 h]). Die Wiederbegegnung mit diesem mühsam aufgegebenen Narzissmus würde unter normalen Bedingungen Angst verursachen. Die Bedingungen der Liebe und des Neides dagegen erlauben die Verwandlung des angsterregenden narzisstischen Elements ins Positive, Faszinierende – und zwar durch seine Ansiedelung am Ort des Anderen (in der Liebe) oder in dessen Besitz (beim Neid). Diese Verlagerung erlaubt nun dem Liebenden wie dem Neider die freudige Begegnung mit etwas, das für ihn alles ist – so, wie er einst sich selbst dieses alles gewesen ist (oder zumindest nachträglich meint, es einst gewesen zu sein).
Für das Neidobjekt trifft somit paradoxerweise dasselbe zu wie für die beneidete Person. Auch der beneidete Andere spielt ja für den Neider strukturell dieselbe Rolle wie die geliebte Person für den Liebenden: die Rolle des ehemaligen Ich. Denn diesen Anderen wird (auf dem Weg der Projektion) die Fähigkeit zu jenem lustvollen Genießen des Narzissmus zugetraut, die dem erwachsen gewordenen Neider selbst verlorengegangen ist – freilich nicht ohne eine nostalgische Spur zu hinterlassen, der folgend er diese Fähigkeit unablässig bei den oft ebenfalls erwachsenen Anderen vermuten und suchen muss. Gemäß dieser Rollenidentität von beneideter und geliebter Person konnte Sigmund Freud den Schluss ziehen, dass in der Eifersucht etwa eines Mannes auf einen anderen Mann ein Stück verschobener homosexueller Liebe am Werk sein muss (s. Freud [ 1911 c]: 186 ff.; [ 1922 b]: 221 ). Aus lacanianischer Perspektive muss dieser Befund freilich noch um ein entscheidendes Motiv ergänzt werden: Der Eifersüchtige projiziert nicht nur seine eigene Liebe für den anderen Mann auf die eigene Frau und wehrt dadurch, wie Freud erkannte, eine homosexuelle Regung ab. Viel wichtiger erscheint noch, dass die verlorengegangene Fähigkeit zum lustvollen narzisstischen Genießen auf den Anderen projiziert und diesem problemlos zugetraut wird. Darin besteht der entscheidende Vorteil der Projektion: Durch sie wird lustvolles Genießen als möglich betrachtet und das unerträgliche Objekt in ein faszinierendes verwandelt. Die Verschiebung auf den Anderen, auf das narzisstische »Nicht-Ich« sozusagen, wehrt die Unmöglichkeit des lustvollen Genießens ab und macht das Unmögliche wieder möglich. Das »Nicht« der Unmöglichkeit wird durch das »Nicht-Ich« der imaginären Alterität ersetzt. In dieser Lösung des narzisstischen Problems der Unmöglichkeit liegt der entscheidende Vorteil der Projektion, sowohl bei der Eifersucht wie beim übrigen Neid, in dem sexuelle Regungen ja eine geringere Rolle spielen mögen.
Da der Andere ebenso wie das Objekt, um das es im Neid geht, mit Narzissmus aufgeladene Objekte sind, bewegt sich der Neider in einer strenggenommen objektlosen Welt. Alles – das Objekt ebenso wie die Person, die beneidet wird – sind (freilich undurchschaute) Facetten des eigenen Ich. Diese narzisstische Welt, in der das Ich von nichts anderem als sich selbst bedrängt wird, ist die Welt der
Paranoia
. Freud hat darum die Eifersucht konsequent als Paranoia beschrieben. [120] Da die Projektion den grundlegenden Abwehrmechanismus der Paranoia bildet, kann darin alles, was dem Ich unmöglich oder unerträglich ist, auf den Anderen verschoben werden. Nicht man selbst liebt dann zum Beispiel, sondern der Andere (s. Freud [ 1922 b]: 221 ).
Ebenso wie mit der Liebe, deren Projektion auf den Anderen die Eifersuchtsparanoia ergibt, kann dies in einem nächsten Schritt auch mit der Eifersucht oder dem Neid selbst geschehen. So entsteht die
Neidparanoia
: Nicht man selbst ist dann eifersüchtig oder neidisch, sondern es wird gefürchtet, der Andere könnte eifersüchtig oder neidisch sein. Diese Furcht vor dem Neid der Anderen kann, wie manche Beobachter vermuten, mitunter sogar das Leben ganzer Gesellschaften hemmen: Häuser werden dann nicht fertiggebaut, damit bei Verwandten kein Neid entsteht; oder sie werden nicht als Hochhäuser errichtet, um keine bösen Blicke auf sich zu ziehen (s. Signer 2004 ; Schulze 2006 : 102 f.).
Auch aktuelle westliche Subkulturen und Kunstszenen scheinen oft massiv von solcher Neidparanoia betroffen. Niemand darf es sich dann erlauben,
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