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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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wenigstens für kurze Momente großartig, glanzvoll strahlend oder glamourös zu sein; alle verhalten sich aus Furcht vor dem Neid der anderen, wie Peter Sloterdijk pointiert bemerkte, zutiefst »demutstrunken« (Sloterdijk 2006 : 31 ). Freilich kann solches Verhalten und solche Furcht auch begründet und nicht paranoisch sein. Man kann auch zu Recht den Neid der anderen fürchten, ohne dabei eigenen Neid auf sie zu projizieren. In jedem der beiden Fälle ist wenigstens eine Paranoia vorhanden – entweder der paranoische Neid auf eingebildetes Glück oder aber die paranoische Furcht vor eingebildetem Neid.
    Da der Neid, wie wir gesehen haben, ein Zustand der Paranoia ist, worin das Ich sowohl im Rivalen wie im Neidobjekt lediglich narzisstische Gestalten seiner selbst antrifft und mithin sozusagen vollkommen mit sich selbst alleine ist, blockiert dieser Zustand jeden Zugriff auf jegliches reale Objekt, das Freude bereiten könnte. Es gibt ein »Ding«, das alle anderen völlig in den Schatten stellt bzw. zunichtemacht, und dieses Ding ist bezeichnenderweise kein Objekt, sondern ein Stück Narzissmus.
    Diese nicht zu leugnende und – angesichts der speziellen, zuvor angeführten Eigenheiten des Neides – schwerlich anders zu erklärende Tatsache muss zur Skepsis veranlassen hinsichtlich dessen, was Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Konzept der »Wunschmaschinen« als die polymorphe und unproblematische, ungefährdete »Produktivität« und »Positivität« des menschlichen Begehrens und Wünschens entworfen haben (s. Deleuze/Guattari 1977 : 32 ff.; 65 ff.). Es ist offenbar keineswegs so, dass Wünsche ohne weiteres und überall am menschlichen Körper oder im psychischen Apparat generiert werden können. Vielmehr muss in Betracht gezogen werden, dass diese Produktivität, wie beim Neid, einer schweren narzisstischen Störung unterliegen kann. Die Überwindung des Narzissmus bildet die Voraussetzung dafür, dass irgendein Objekt begehrt werden kann. Freilich geschieht diese Überwindung nicht, wie Deleuze und Guattari zurecht betonen, durch das kulturelle Verbot (etwa das ödipale Inzestverbot). Nicht das Verbot geht den Wünschen voran. Aber das hatte die psychoanalytische Theorie auch nicht behauptet (s. dazu Pfaller 2009 ).
    Entscheidend erscheint zum Verständnis des Neides sowie des Umgangs mit ihm die Erkenntnis Lacans, dass das Begehren immer von seinem narzisstischen Vorgänger, dem Genießen, bedroht ist und dass es unter bestimmten Umständen in dieses zurückfallen und von ihm aufgezehrt werden kann. Ebenso erscheint es angesichts dieser Tatsachen wahrscheinlich, dass das Begehren nicht unabhängig vom narzisstischen Genießen ist und dass es seinen ganzen Impetus in Richtung realer Objekte aus dessen gelungener Überwindung bezieht – dass also jedes begehrte Objekt seine Aufladung mit Attraktivität durch das »Nichtobjekt«, das »Unding« des verlorenen Narzissmus gewinnt: Wenn uns überhaupt jemals reale Objekte begeistern, dann – wie Freud hellsichtig erkannte – insofern, als es uns gelingt, in ihnen ein Stück des verlorengegangenen Narzissmus unterzubringen; möglicherweise gibt es keinen anderen Begehrensantrieb. [121]
    Freilich aber dürfen die Objekte von diesem narzisstischen Motiv nicht völlig zugedeckt werden, wenn nicht paranoischer Verlust entstehen soll. Das Begehren realer Objekte kann darum als »partieller« Narzissmus betrachtet werden, wohingegen die Faszination durch ein Neidobjekt oder eine eifersüchtig oder romantisch verfolgte Person als »Totalnarzissmen« gelten müssen. Der Totalnarzissmus des Genießens und der Partialnarzissmus des Begehrens würden sich dabei so zueinander verhalten wie eine »geschlossene« und eine »offene« Annahme in den Wissenschaften: Eine geschlossene Annahme trägt eine bestimmte Interpretation an die Erfahrung heran, ohne jemals durch diese widerlegt werden zu können. [122] Eine offene Annahme hingegen macht etwas an der Erfahrung sichtbar, wird in der Folge aber selbst durch die Erfahrung bereichert und kann dadurch modifiziert oder auch falsifiziert werden. Ebenso kann eine nicht paranoische Liebe an einem bestimmten Punkt durch bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen ihres Objekts enttäuscht werden (zum Beispiel wenn dieses einwendet: »Ich aber liebe dich nicht.«). Bei einer paranoischen Liebe hingegen herrscht absolute Unenttäuschbarkeit und Immunität gegen jede Erfahrung vor (dem genannten Einwand würde zum

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