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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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einfache Erwachsenheit hingegen ist eigentlich gar keine. Einfach erwachsen zu sein, ohne Fähigkeit zur Verdoppelung, ist vielmehr typisch für bestimmte Kinder. Das sind jene altklugen, umweltbewussten Kinder, die zum Beispiel zu ihren Eltern vorwurfsvoll sagen: »Man soll doch keine Plastikflaschen kaufen.« Das Bezeichnende an der kindlichen Erwachsenheit altkluger Kinder zeigt sich daran, dass sie immer
ganz
erwachsen sein wollen. Sie haben überall kluge Regeln und Verbote parat und halten sich daran, und sie wundern sich, wenn sie bemerken müssen, dass die Erwachsenen, denen sie so sehr nacheifern, ihrerseits doch auch ganz unvernünftige Dinge tun wie zum Beispiel charmant scherzen, sich verlieben oder sich betrinken. Wirklich erwachsen sein heißt also eben nicht
ganz
erwachsen sein zu wollen, sondern sich ab und zu Momente kindlicher Unvernunft gönnen zu können. [138]
    Genau wie mit der Erwachsenheit verhält es sich auch mit ihrer philosophischen Schwester, der Vernunft. Auch diese muss, um Vernunft zu sein, sich verdoppeln und nicht bloß vernünftig sein, sondern auch ein vernünftiges Verhältnis zu sich selbst herstellen; also
auf vernünftige Weise vernünftig sein
. Durch diese Verdoppelung entwickelt die Vernunft nicht nur Selbstreflexion, sondern vor allem auch etwas Gemäßigtes, Mildes. Ohne Verdoppelung hingegen wird sie leicht zu etwas Maßlosem, Gnadenlosem und Irrationalem, das sein vermeintlich Anderes mit unerbittlicher Härte verfolgt und es total auslöschen will – wie man es eben an bestimmten Auswüchsen der aktuellen Rauchverbotsinitiativen beobachten kann, die nicht einfach nur eine erträgliche Regelung für alle Gruppen herstellen wollen, sondern auf totale Reinheit und auf die restlose Vernichtung eines ihnen verhassten, vermeintlich unreinen Kulturelements abzielen.
    Erwachsenheit und Vernunft müssen sich also verdoppeln, um überhaupt das zu sein, was sie zu sein beanspruchen. Man muss auf erwachsene Weise erwachsen und auf vernünftige Weise vernünftig sein, sonst ist man weder erwachsen noch vernünftig. Dem jeweiligen Adjektiv (»erwachsen«, »vernünftig«) muss das entsprechende Adverb (»auf erwachsene Weise«, »auf vernünftige Weise«) vorangestellt werden, sonst verliert das Adjektiv seinen Sinn. Unverdoppelt wird die Erwachsenheit kindisch und die Vernunft irrational.
    Nicht nur Erwachsenheit und Vernunft aber müssen sich verdoppeln, um das zu werden, was sie sind, sondern auch zum Beispiel der Geschmack. Das lässt sich an leicht zu machenden Erfahrungen beobachten. So bekommt man manchmal von Bekannten eine neue Wohnung oder ein neues Haus gezeigt und muss bemerken, dass man es hier mit dem Bemühen zu tun hat,
ganz
geschmackvoll zu sein. Man steht dann vor einer lückenlosen Reihe untadeliger Gestaltungsentscheidungen. Diese sind oft beeindruckend, bekommen nach einer Weile allerdings leicht auch etwas Beklemmendes. Der gute Geschmack ist leider nicht so bekömmlich, wenn er
ganz
guter Geschmack ist. Um erträglich zu sein, muss er sich vielmehr verdoppeln und dadurch sich selbst mäßigen, so dass er vielleicht auch einmal etwas Geschmackloses oder zumindest etwas anspruchslos Schlichtes zulassen kann. Wirkliche Eleganz besteht also nicht darin, ausschließlich elegante Dinge zu akzeptieren, sondern vielmehr darin, ein elegantes Verhältnis zu den eleganten Dingen aufzubauen. Auch hier geht es also um den Primat des Adverbs gegenüber dem Adjektiv: Man muss auf elegante Weise elegant sein.
    1 . Verdoppelung und Verkehrung ins Gegenteil
    Diese Verdoppelung, bei der ein Prinzip wie die Erwachsenheit, die Vernunft oder der Geschmack auf sich selbst angewandt und dadurch zu seiner Selbstbeschränkung oder auch zu seiner partiellen (oder sogar totalen) Selbstverneinung befähigt wird, bezeichnen die Philosophen als Dialektik. Dieses Wort verweist schon seinem ursprünglichen, griechischen Sinn nach auf die Verdoppelung – nämlich der Sprecherposition –, also auf die Rede von zweien, und in der Folge auch auf die dadurch eröffnete Möglichkeit, dass sich eine Sache oder ein Argument flugs in ihr Gegenteil verkehrt. Allerdings gibt es zwei entgegengesetzte Positionen in der Frage, welche Rolle die Verdoppelung bei der Verkehrung und Selbstverneinung spielt: Führt die Verdoppelung in den Widerspruch, oder ist sie notwendig, um ihn zu vermeiden?
    Die erste Position vertrat Bertrand Russell. Er stieß auf das Paradoxon der »Menge aller Mengen, die sich

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