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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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Beispiel entgegnet werden: »Du liebst mich schon. Du weißt es nur noch nicht. Und gerade das ist das Liebenswerte an dir.«).
    Angesichts der gegenwärtigen Verbreitung von Phänomenen der Paranoia sowie der paranoischen Einbildung gewinnen die alten philosophischen Interventionen vom Typ Epiktets neue Aktualität. Es ist notwendig, die »Einbildungen« beziehungsweise »Meinungen« zu beherrschen, wenn nicht jeder Zugang zu den Tatsachen versperrt bleiben soll.
    Hier zeigt sich schließlich, weshalb Epiktets Insistenz auf der Bearbeitung der Einbildungen keineswegs eine resignative, subjektivistische oder psychologistische Abkehr von der Welt darstellt. Der Hinweis, dass es Einbildungen seien, und nicht – wie sie selbst immer zu versichern versuchen – Tatsachen, die uns in Aufruhr versetzen, zielt darauf ab, der Paranoia ihren gegenständlichen Schein zu rauben. Epiktet erinnert uns daran, dass unser Neidobjekt in Wahrheit kein Objekt ist. Erst nach dieser Einsicht werden wir fähig, uns wirklichen Objekten zuzuwenden.
    Die besondere Pointe des Stoizismus von Epiktet besteht mithin darin, das narzisstische, idealistische Moment an der Einbildung und dessen Gefahr erkannt zu haben. Dieser Gefahr kommt man nicht bei, indem man nur darauf achtet, die auf Materielles gerichteten Begierden abzutöten, wie es die letztlich revisionistische – und vielleicht auch selbst durch idealistische Überlieferung verfälschte – Tradition der vornehmen Stoiker nahelegen könnte. Im Gegenteil: Solche Übung in der Verachtung von allem Materiellen kann leicht zu jener Haltung führen, in der dem Ich, wie im Neid, jede Distanz zu sich selbst fehlt und in der es umso panischer nach vermeintlichen Objekten jagen muss, je mehr ihm jeglicher wirkliche Bezug auf die Welt verlorengegangen ist.
    Ein idealistischer Stoizismus ist unfähig, Menschen vor einem idealistischen Laster, wie es der Neid ist, zu bewahren; ja schlimmer noch: Indem er ihren Narzissmus verstärkt und ihren heilsamen Hang zu den Objekten zerstört, trägt er selbst dazu bei, dass sie diesem Laster verfallen. Die Tugend, wie die Idealisten sie entwerfen, ist zu verbissen und zu finster, um nicht zu solchen verbissenen, finsteren Passionen geradezu anzuleiten.
    Ganz anders dagegen die materialistische Milde des neuzeitlichen Stoikers Michel de Montaigne, der die Tugend als »eine gefällige, fröhliche Eigenschaft« charakterisiert, als »schön, siegreich, liebevoll und ebenso reizend als beherzt« sowie als »erklärte und unversöhnliche Feindin des Unmuts, des Mißvergnügens und des Zwanges, die im Verein mit dem Glück und der Lust der Natur folgt« (Montaigne 1996 : 77 ; 28 ). Eine so gefasste Tugend ist, wie Montaigne folgert, durchaus auch
    »reich und mächtig, sie kann gelehrt sein und kann in duftenden Betten schlafen: sie liebt das Leben, sie liebt die Schönheit, den Ruhm und das Wohlergehen. Doch das Besondere, Eigene ist, daß sie sich dieser guten Dinge in geordneter Weise bedienen und sie mit Gleichmut verlieren kann.« (Montaigne 1996 : 28 )

10 . Vernünftiger Umgang mit Vernunft:
Die Rationalität der Verdoppelung
    »Ein Mann kann nicht wieder zum Kinde werden, oder er wird kindisch. Aber freut ihn die Naivetät des Kindes nicht, und muß er nicht selbst wieder auf einer höheren Stufe streben, seine Wahrheit zu reproduzieren? […] Es gibt ungezogene Kinder und altkluge Kinder. Viele der alten Völker gehören in diese Kategorie. Normale Kinder waren die Griechen.«
    (Marx [ 1857 ]: 641 f.)
    Eines ist ganz offensichtlich: Wenn man ein Leben haben will, das seinen Namen verdient, dann darf man nicht unentwegt vernünftig oder erwachsen sein. Man muss vielmehr imstande sein, sich auch kleine Verrücktheiten oder kindische Dummheiten zu gönnen. Erwachsenheit und Vernunft aber müssen hier nicht durch etwas ihnen Fremdes relativiert oder eingeschränkt werden – das ist das Besondere: Was sie einschränken muss, sind jeweils sie selbst, und zwar mit Notwendigkeit. Denn sie sind nur das, was sie sind, wenn sie sich selbst einschränken. Um sich selbst einzuschränken, müssen sie sich verdoppeln.
    Das lässt sich leicht verständlich machen: Man kann nämlich nur dann wirklich erwachsen sein, wenn es einem nicht nur gelingt, Erwachsenheit zu zeigen, sondern vor allem auch, ein
erwachsenes Verhältnis
zur eigenen
Erwachsenheit
zu entwickeln – das heißt: wenn man es fertigbringt,
auf erwachsene Weise erwachsen
zu sein. Unverdoppelte,

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