Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
Vom Netzwerk:
stellen kann. Das ist der Sinn von Freuds Bemerkung. »Am Zweifel zweifeln« heißt darum bei Freud wie bei Wittgenstein, die Universalisierbarkeit dieser Operation in Frage stellen, um ihre Schärfe zu gewährleisten. Die Verdoppelung der Operation geschieht hier im Dienst jener empirischen Bedingungen, die notwendig sind, damit die Operation nicht wirkungslos wird.
    Es handelt sich nicht um logische Verdoppelung. Wittgenstein und Freud behaupten nicht, dass der wahre Zweifel an allem zweifeln müsse, folglich auch an sich selbst; [144] und sie sagen nicht, dass der Zweifel, konsequent gedacht, notwendigerweise zu seiner eigenen Aufhebung führt, weil der Zweifel eben sozusagen, nachdem er alles wegrasiert hat, am Ende auch noch sich selbst wegrasieren müsse. Die Verdoppelung, um die es hier geht, ist keine »Negation der Negation«, die sich aus der Verallgemeinerung und schließlichen Selbstanwendung ergäbe. Vielmehr dient die Verdoppelung des Zweifels bei Freud und Wittgenstein dazu, jene automatische, nur scheinbar konsequente Verallgemeinerung zu verhindern, die in Wahrheit alles andere als konsequent ist, weil sie den Zweifel unwirksam macht. Man muss den Zweifel verdoppeln, weil sonst die Verallgemeinerung des Zweifels diesen in sein Gegenteil verkehren würde, um – genau wie in der postmodernen, universell skeptischen Ideologie – in einer Nacht, in der alle Katzen grau und also farblich zweifelhaft erscheinen, dem bestimmten, funktionierenden Zweifel keinen Raum mehr zu lassen.
    2 . Verdoppelung als Schärfung
    Was Freud und Wittgenstein anstreben, ist eine Verdoppelung, die der Schärfung dient. Im Fall des Zweifels besteht diese schärfende Verdoppelung darin, auf skeptische Weise zu zweifeln. Das heißt, den Zweifel durch Zweifeln so zu begrenzen, dass er wirkungsvoll bleibt und dort zur Anwendung gelangt, wo er hingehört – d.h. dort, wo er seine Funktion erfüllt. Dasselbe gilt auch für Epikurs Verdoppelung der Mäßigung: [145] Die Mäßigung muss auf sich selbst angewendet werden, weil sie sich sonst in einer Weise verallgemeinert, die sie um ihre Funktion bringt, ja diese sogar in ihr Gegenteil verkehrt: Wer sich maßlos mäßigt, verfällt jenem Exzess, den die Mäßigung vermeiden sollte.
    Diese ethische Seite der schärfenden Verdoppelung lässt sich auch unter einem psychoanalytischen Gesichtspunkt betrachten. Die Verallgemeinerung der Mäßigung, wodurch deren empirische, schärfende Bedingungen verlorengehen, würde einem Verlust des Realitätsprinzips entsprechen. Als verallgemeinerte würde die Mäßigung dadurch zu etwas Realitätslosem, Narzisstischem. Dadurch kommt es zu jener Umkehrung, die nicht nur einem Wortspiel geschuldet ist: Der Verzicht auf die Lust wird dadurch zur Lust des Verzichts. [146] Allerdings lässt diese Lust, wenn sie sämtliche ihrer empirischen Bedingungen verloren hat, sich nicht mehr lustvoll erleben. Sie wird dann zu jener narzisstischen Passion, die als neurotische Unlust die Neurotiker quält und für die Jacques Lacan den Terminus »jouissance«, Genießen, eingeführt hat, um sie von der lustvoll erlebbaren Lust, dem »plaisir« zu unterscheiden. Der Unterschied trennt philosophische oder religiöse Asketen und Heilige auf der einen Seite von Fanatikern auf der anderen. Asketen mäßigen sich maßvoll und erfreuen sich daran wie Epikur. Fanatiker hingegen erleben ihren vehementen Verzicht nicht mehr als Freude. Sie werden finster und projizieren jenes Genießen, das ihnen vermeintlich fehlt, auf andere, denen sie es neiden. Schärfende Verdoppelung ist aus psychoanalytischer Sicht also die Anbindung einer Funktion an die empirischen Bedingungen des Realitätsprinzips. Dieses zeigt darin seine Abkunft vom Lustprinzip. Denn es sorgt für lustvolle Erlebbarkeit. Wird das Realitätsprinzip hingegen durch Maßlosigkeit außer Kraft gesetzt, so verfallen die Betroffenen der Qual des Genießens.
    3 . Verdoppelung als Humor
    Für die Figur der Verdoppelung hat Sigmund Freud einen eigenen, schönen Namen gefunden – nämlich
Humor
(s. Freud [ 1927  d]). Humor besteht darin, dass man sich selbst verdoppelt. Und zwar, um fähig zu werden, auf sich selbst aus einer erhöhten Position herunterzublicken und über sich – d.h. über die eigenen Dummheiten, Drolligkeiten, Ungeschicklichkeiten, Verfehlungen, Geschmacklosigkeiten und andere Verletzungen der eigenen Prinzipien – liebevoll zu lächeln. [147] Diese erhöhte Position, die uns einen solchen

Weitere Kostenlose Bücher