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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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wohlwollend lächelnden Blick auf uns selbst ermöglicht, ist, wie Freud erkannte, die Perspektive des Über-Ich (s. Freud [ 1927  d]: 280 ).
    Diese Entdeckung ist einigermaßen überraschend. Denn gerade das Über-Ich hatte sich bereits für Freud als der gnadenlose Agent der Verallgemeinerung gezeigt. Hinter allem, was Individuen an unlustvollen Leidenschaften und finsteren Passionen entwickeln und wovon sie nicht lassen können – wie z.B. Eifersucht, Neid, Wut, Pedanterie, Altklugheit etc. –, steckt als treibende Kraft das Über-Ich. Jacques Lacan hat dessen Funktionsweise darum mit dem Befehl »Genieße!« charakterisiert. [148]
    An diesem Punkt zeigt sich darum eine bislang weitgehend ungelöste Frage psychoanalytischer Forschung in Bezug auf das Über-Ich: Unter welchen Bedingungen wird das Über-Ich zu der von Freud entdeckten milden Beobachtungsinstanz des Humors? Und unter welchen anderen Bedingungen fungiert es, im Gegenteil, als jene von Lacan charakterisierte Macht der gnadenlosen Ganzheit, die das Ich mit dem unerbittlichen Befehl »Genieße!« drangsaliert und keinen Humor kennt oder zulässt? Offenbar kann ein und dieselbe psychische Instanz hier einmal als die heitere, mildernde Macht der Verdoppelung, das andere Mal als die Agentin gnadenlosen, einseitigen Zwanges, mithin eben der Verhinderung von Verdoppelung und Humor, auftreten. Verschiedene psychoanalytische Schulen haben versucht, diese zwei Gesichter der von Freud entdeckten Instanz durch die Benennung mit Hilfe der Termini »Über-Ich« bzw. »Ichideal« zu unterscheiden. [149] Die Bedingungen und Gründe dafür, dass diese Beobachtungsinstanz jeweils gerade die eine ihrer beiden so entgegengesetzten Gestalten annimmt und nicht die andere, scheinen allerdings noch nicht hinreichend geklärt.
    Der Unterschied zwischen diesen beiden Funktionsweisen des Über-Ich hätte sein philosophisches Gegenstück in jenem zwischen dialektischer und empirischer, schärfender Verdoppelung: Das tyrannische, maßlose Über-Ich bildete den Antrieb der grenzenlosen Universalisierung eines Prinzips (wie Vernunft, Geschmack, Erwachsenheit, Mäßigung etc.); das humorvolle Über-Ich dagegen ermöglichte die einschränkende Verdoppelung, die dafür sorgt, dass das Prinzip sich schärfen kann und nicht durch grenzenlose Verallgemeinerung seinen Sinn verliert.
    Genau in dieser Hinsicht wäre das humorvolle Über-Ich auch der Agent jener kulturellen Gebote, welche den Individuen gerade die Überschreitung der üblichen, profanen kulturellen Regeln auferlegen. »Jetzt wird gefeiert, darum hörst auch du jetzt zu arbeiten auf und trinkst ein Glas mit uns« – solche Imperative kommen nicht von einer obszönen Kehrseite der Kultur. Vielmehr sorgen sie mäßigend und schärfend dafür, dass die üblichen, profanen Regeln der Kultur sich nicht durch Verallgemeinerung in ihr Gegenteil verkehren und dadurch selbst zu einem obszönen Exzess geraten.
    Die Überschreitungsgebote stehen im Dienst der symbolischen Ordnung, insofern diese dem Lustprinzip dient. Sie setzen dem Regime dieser Ordnung maßvolle Grenzen und sorgen auf diese Weise dafür, dass dieses Regime nicht in die Unlust des Genießens führt. [150]

11 . Identität, Ideale, Rollen und Geschicklichkeit
    »›Wir haben keine Kunst‹, sagt der Balinese; ›wir tun alles, so gut wir können.‹«
    (McLuhan 1994 : 111 )
    1 .
    Im Schauspiel des Lebens, betonte der Stoiker Epiktet, kommt es nicht darauf an, eine gute Rolle zu spielen, sondern darauf, sie gut zu spielen. [151] Genau wie in den zuvor präsentierten Beispielen des vorigen Kapitels lässt sich auch hier zunächst die Figur der Verdoppelung erkennen: Das Adverb dominiert über das Adjektiv; es kommt darauf an,
gut
zu spielen; nicht notwendigerweise eine
gute
Rolle.
    Bestechend an dieser Bemerkung ist die entstressende Kraft, die sie besitzt. Wie viele Zeitgenossen aller Geschlechter und Zwischenstufen sind gegenwärtig nicht verzweifelt damit beschäftigt, eine gute Rolle für sich zu »konstruieren« oder sie »performativ umzugestalten«. Und wie selten kommt jemand dabei zu einem zufriedenstellenden Abschluss! Freilich liegt der Einwand nahe, Epiktet erteile damit eine resignierte Absage an alle Möglichkeiten politischer Veränderung. Aber verhält es sich hier nicht wieder umgekehrt – genauso, wie wir es zuvor im Abschnitt über den Neid herausgefunden hatten: Liegt die Resignation nicht viel eher auf der anderen Seite? Ist nicht gerade die

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