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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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kann nur verrückt sein. Entweder man ist ebenso verrückt wie die übrigen Menschen, oder man ist es nicht – und dann ist man erst recht verrückt, das heißt: noch verrückter.
    War Lessings ähnliche Bemerkung »Wer unter gewissen Umständen seinen Verstand nicht verliert, hat keinen zu verlieren« [141] noch ohne Widerspruch ausgekommen (entweder hatte man keinen Verstand oder man verlor ihn eben), so weist Pascals Bemerkung augenscheinlich eine in den Widerspruch führende Geschlossenheit auf. Sie sagt, abstrakt formuliert: ›Wenn ja, dann ja; wenn nein, dann aber erst recht ja.‹ Wenn man närrisch ist, ist man es eben; wenn aber nicht, dann ist man es erst recht.
    Dies scheint auf den ersten Blick auf die gefährlichste Seite dialektischen Denkens zu verweisen – auf jene Seite, die dieses Denken in die Geschlossenheit der Paranoia führt. Zum Beispiel in die Paranoia von Geheimdiensten. Diese laufen bekanntlich von Berufs wegen Gefahr, niemals etwas anderes als feindliche Spione zu wittern (sonst müssten sie ja um ihre Existenzberechtigung fürchten): Wenn Spione zu sehen sind, dann muss man wachsam sein. Wenn aber keine zu sehen sind, dann beweist das nur, dass man umso wachsamer sein muss, denn dann verbergen sie sich bestimmt nur auf besonders hinterlistige Weise – wahrscheinlich sogar im eigenen Apparat. [142]
    Pascals Bemerkung ist jedoch vollkommen berechtigt und nicht paranoid. Ihre Berechtigung rührt daher, dass es empirische Bedingungen für sie gibt. Wenn die Menschen so unfehlbar närrisch sind, dann und nur dann muss man auch närrisch sein. Pascals Argument bewegt sich also gar nicht auf dem Schlachtfeld der Logik, auf dem die Kombattanten Russell und Hegel ihre strahlenden Auftritte hatten. Es sagt nicht abstrakt und allgemein »Wenn nein, dann ja«, sondern nur »Unter diesen bestimmten Gegebenheiten ist selbst das Nein ein Ja«. Es ist sozusagen die Beschreibung einer empirischen widersprüchlichen Situation, einer in der Erfahrung festgestellten Situation des »double-bind«. [143]
    Derselbe Unterschied zwischen dem Widerspruch in der logischen Verdoppelung und der Bindung des Widerspruchs an empirische Bedingungen begegnet auch in der Frage des Zweifels. Sigmund Freud bemerkt in seiner 30 . Vorlesung:
    »Wenn man sich für einen Skeptiker hält, tut man gut daran, gelegentlich auch an seiner Skepsis zu zweifeln.« (Freud [ 1933  a]: 492 )
    Auch hier zeigt sich wieder die Figur der Verdoppelung und mit ihr das Problem der Verkehrung ins Gegenteil. Nach Freuds Auffassung wäre also ein Skeptizismus, der an allem zweifelt außer an sich selbst, kein wahrer, kein wirklich skeptischer Skeptizismus. Handelt es sich hier also um eine logische Figur vom Typ »wenn nein, dann ja«? Heißt es hier: »Wenn man zweifelt, dann zweifelt man; wenn man aber nicht zweifelt, dann zweifelt man erst recht, denn dann zweifelt man am Zweifeln«? Ist der wahre Zweifel, Freud zufolge, also dessen Aufhebung? Um das richtig zu verstehen, muss man an Wittgenstein denken, der in Bezug auf den Zweifel bemerkt:
    »Ein Zweifel ohne Ende ist nicht einmal ein Zweifel.« (Wittgenstein 1982 : 161 )
    Wittgensteins Argument beruht auf der Erkenntnis, dass sprachliche Operationen, ähnlich wie Werkzeuge, nur ein begrenztes Anwendungsgebiet, einen begrenzten Funktionsraum haben. Wendet man sie außerhalb dieses Raumes an, so verlieren sie ihre Funktion. Die Operation des Zweifelns ist nun, Wittgenstein zufolge, gebunden an einen solchen Raum, der von Unbezweifeltem, Gewissem umgeben ist:
    »D. h. die
Fragen
, die wir stellen, und unsre
Zweifel
beruhen darauf, daß gewisse Sätze vom Zweifel ausgenommen sind, gleichsam die Angeln, in welchen jene sich bewegen.« (Wittgenstein 1982 : 89 )
    Darum gilt das Prinzip:
    »Wenn ich will, daß die Türe sich drehe, müssen die Angeln feststehen.« (Wittgenstein 1982 : 89 ).
    Zweifeln ist also für Wittgenstein keine universalisierbare Operation. An allem zu zweifeln, ist deshalb nicht möglich, weil die Operation des Zweifelns nur dann gelingen kann, wenn man sie ausgehend von Gewissheiten vollzieht. Nur dann kann der Zweifel an seinem Objekt ansetzen, nur dann ist er sozusagen »scharf«. Nur dann kann er das Objekt (etwa die Wahrheitswerte einer Behauptung) wie eine Türe in Schwebe versetzen und dessen Stellung variieren.
    Der Zweifel muss also begrenzt werden, damit er seine Funktion erfüllen kann – damit er als vernünftiger Zweifel wirken und etwas wirklich in Frage

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