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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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ist die Rolle gut gespielt und die »Empfindung von Triumph« erzielt. Hier zeigt sich die Beziehung, die zwischen der Verdoppelung und dem naiven Beobachter besteht: Dass die Schönheit schön dargestellt wurde, ist entscheidend und verleiht der Sache ihren Charme; nicht die bloße anatomische Wirklichkeit. Was uns von diesem leicht verfügbaren Glück fernhält, ist lediglich die irrige Vorstellung, wir selbst müssten dabei etwas glauben; es wäre eine Sache innerer Überzeugung und nicht von geschicktem Darstellen eines »als ob«.

4 . Abschnitt: Leben als Verausgabung
    12 . Schmutziger Frühling:
Über das Leben als Gabe und die Verpflichtung,
sie zu erwidern. Ein Monolog
    Wie das Alter und das Geschlecht ist der Frühling, der zugleich Neubeginn und Lebendigkeit signalisiert, etwas kulturell Determiniertes. Es ist bezeichnend für ganz bestimmte Epochen, dass die sich plötzlich jung fühlen und kraftstrotzend und bereit, mit ihrer ganzen Vergangenheit zu brechen und einen Neubeginn zu wagen. Und es ist bezeichnend, dass wir, die wir auch am Neubeginn eines Jahrhunderts stehen, uns überhaupt nicht frühlingshaft fühlen. Wir sind schon froh, wenn wir nicht alt und schwach sind; kräftig sind wir keinesfalls.
    Es ist ebenso bezeichnend, dass der Frühling als kulturelle Metapher an der Wende zum 20 . Jahrhundert auftaucht, etwa als Ver Sacrum. Die Künstler um 1900 sind Rebellen. Sie gefallen sich in Bildern der Barbarei und des Zerstörens. Der Futurist Filippo Tommaso Marinetti und seine Kollegen wollen die Bibliotheken verbrennen und die Spaghetti verbieten. Es gibt eine Nähe der Künstler zum Kriminellen. Dieses Kräftige drückt sich auch in der Bereitschaft aus, Gesetze zu überschreiten und in allen Formen schlimm zu sein. Heute dagegen sind die Künstler die Musterknaben und -mädchen der Gesellschaft. Sie sind noch viel braver als der gesellschaftliche Mainstream.
    Das führt zu einer weiteren Überlegung, die mit den Begriffen Ver Sacrum und Sacre du Printemps zusammenhängt. Warum kommt das Sakrale mit dem Frühling einher? Der Sprachwissenschaftler Émile Benveniste hat, wie eingangs erwähnt, bemerkt, dass es in fast allen Sprachen zwei Bezeichnungen für das Heilige gibt: im Lateinischen zum Beispiel »sacrum« und »sanctum«. Das Sacrum ist dabei immer die bösartige Seite des Heiligen. Auf der Seite des Sanctum stehen die Heiligen, die mit ihren Sünden ins Reine gekommen sind und keine Versuchungen mehr zu fürchten brauchen. Das Sacrum dagegen hat immer etwas Gefährliches, etwas, das man nicht berühren soll. Das ist das Schmutzige am Heiligen.
    Man könnte diesen Unterschied in einem weiteren Schritt zurückführen auf den Unterschied zwischen Magie und Religion. Die Magie hat mehr mit dem Sacrum zu tun, die Religion mehr mit dem Sanctum. Dieses unverträglich Böse und Schmutzige am Heiligen ist zugleich das, was uns jung und lebendig hält. Lebendigkeit bezeichnet einen bestimmten euphorischen Bezug auf dieses schmutzige Heilige.
    Das Schmutzige am Heiligen hat übrigens auch Sigmund Freud entdeckt, als er bemerkte, dass das Wort »tabu« im Polynesischen diese merkwürdige Doppelbedeutung von »erhaben« und »unrein« hat. Auch dort ist das Heilige etwas, womit man besser nicht in Berührung kommt. Psychoanalytisch reformuliert kann man sagen: Das schmutzige Heilige ist nicht Ich-konform. Man kann es nicht ohne weiteres mit dem Ideal-Ich, also den Bildern, die wir von unserem eigenen Ich wunschgerechterweise machen, in Einklang bringen. Es hat immer etwas leicht Gefährliches, etwas, das uns außer uns bringt, von dem wir besessen sind, das uns anders handeln lässt als wir es üblicherweise richtig finden.
    Eine erste, narzisstische Unterscheidung zwischen Ich und Außenwelt verläuft so, dass alles Lustvolle zum Ich gerechnet wird, und das ist rein. Alles Unlustvolle wird zur Außenwelt gerechnet; das ist dann unrein. Nun gibt es aber etwas, und das ist eine der wichtigsten Erfahrungen in der Kultur, das unrein und dennoch sehr lustvoll ist. Man könnte es als das problematisch Lustvolle bezeichnen.
    Möglicherweise gibt es das problematisch Lustvolle als Erlebnisqualität nur für Erwachsene, während das infantile Erleben schlicht in Lustvolles und Unlustvolles geteilt ist. Für Erwachsene aber gibt es etwas Drittes, das zwar nicht unter den Bedingungen des Idealich genießbar ist, aber dennoch ganz triumphale Lust bereiten kann. Whisky kann uns einen triumphalen Abend bereiten.

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