Wofür stehst Du?
trugen gern verspiegelte Sonnenbrillen und spitze Schuhe. Aus der Ferne betrachtet fand ich das eine Zeit lang aufregend – die Fortsetzung früherer Kinder-Bandenkriege mit theoretischem Überbau.
Bis mich das Donnergrollen sogar im Urlaub auf Elba erreichte. An einem Sommertag wurde ich in der Strandbar von zwei kurzhaarigen Jungen fixiert, die ein paar Jahre älterwaren als ich. Sie trugen verspiegelte Sonnenbrillen. Einer winkte mich zu sich. Ich ahnte noch nichts Böses, ging herüber und fragte ihn, was er wolle. Er antwortete in gönnerhaftem Ton: »Ich glaube nicht, dass du ein Linker bist, dazu hängst du viel zu sehr an deinem Leben.« Er sagte das zwei- oder dreimal, bis ich verstanden hatte, was es sein sollte: Eine sehr ernst gemeinte Drohung – und eine Reviermarkierung. Ich habe die Bar am Strand von Marina di Campo nie wieder betreten.
Mit 17 hatte ich eine Freundin in Rom. Sie war ein ganzes Stück älter als ich und in früheren Jahren ziemlich militant gewesen. Stolz erzählte sie, wie sie bei Demonstrationen als Ordnerin für die kommunistische Gruppe Il Manifesto im Einsatz gewesen war. Zwei Dinge hatte sie damals immer dabei: ein rotes Halstuch, das sie sich ins Gesicht zog, sobald Polizisten oder Fotografen in der Nähe waren, und etwas Zitronensaft. Der half angeblich gegen Tränengas.
Ich stellte mir das Bild vor: wie man dann nur noch ihre leuchtenden Augen unter einer wilden Lockenpracht sah. Für mich wirkte sie dann noch anziehender, als sie es ohnehin war.
Wenn ich besser hingeschaut hätte, hätte ich vielleicht gemerkt, dass Barbara weniger aus Überzeugung mitgemacht hatte, sondern weil es irgendwie dazugehörte. Inzwischen studierte sie und arbeitete als Restauratorin in Rom; andere Interessen, andere Leidenschaften beschäftigten sie mehr. Wenn mir das auffiel, wirkte es für mich wie Verrat an den Idealen, die ich mit ihr zu teilen glaubte. Aber in einem Punkt wirkte sie sehrglaubhaft – wenn sie von der Angst sprach, die sie bei den letzten Demonstrationen gespürt hatte, als es zu besonders heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war. Sie sagte: »Ich dachte, ich muss sterben.«
Ich glaube, es war im März 1977, als ich auf einer Demo in Rom direkt hinter einem Block von Vermummten marschierte, aus dem einzelne Demonstranten Revolver in die Höhe streckten. Nach einiger Zeit fielen in der Nähe des Tibers Schüsse, ich weiß nicht mehr, wer sie abgab, ob ein faschistischer Provokateur, ein Polizist in Zivil oder einer aus der nach einer Knarre benannten Fanatikergruppe P 38 , die vor mir im Demonstrationszug gewesen war.Ich erinnere mich aber noch genau, welche Panik mich im allgemeinen Durcheinander befiel.
Das war die letzte Demonstration, an der ich mich beteiligte, und von diesem Tag an nahmen auch die Kontakte zu den Genossen, die ich kannte, rapide ab. Nun nahm ich zunehmend Erschrecken und auch Entsetzen bei mir wahr.
Im Jahr 1978 organisierte ein besonders engagierter Lehrer unserer Schule eine Reise nach Sizilien. Dort hatte ein Mann namens Danilo Dolci weltweit Aufsehen erregt, weil er gewaltlos für die Landarbeiter und gegen die Mafia eingetreten war. Man nannte ihn den Gandhi des Südens. Dolci war bereits gestorben, aber sein Sohn und einige seiner Jünger hatten eine Art Friedenscamp gegründet,das wir nun aufsuchten. Die Reise von Hannover nach Sizilien dauerte zwei Tage. Es gab in diesen Zeiten nur ein Thema, und das war die Entführung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro durch die Roten Brigaden. Die Terroristen hatten dabei fünf seiner Begleiter kaltblütig erschossen, mitten in Rom. Man nahm das alles im Camp eher staunend zur Kenntnis; vereinzelt kursierten Witze über Aldo Moro und seine Kidnapper.
Fast jede Erinnerung an Dolci ist inzwischen verblasst, doch die Bilder einer gemeinsamen Busfahrt mit einer Gruppe junger Dänen, die zeitgleich mit uns das Friedenscamp bevölkerten, habe ich noch deutlich vor mir. Wir diskutierten über den Terrorakt und die Ermordung der Leibwächter, als einer der Dänen rief: »Was soll das Geheule über fünf Schergen? Lasst uns damit in Ruhe!«
Und dann erzählte der ältere Bruder meines Vaters, Giorgio, bei einem Familientreffen in Rimini eine grauenerregende Geschichte. Er arbeitete zu jener Zeit erfolgreich als Manager bei dem Büromaschinen- und Computerhersteller Olivetti, was ihn keinesfalls davon abhielt, die Kommunisten zu wählen. Onkel Giorgio hatte sich mit einem
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