Wofür stehst Du?
Politik, es herrschte Euphorie.
Soll man dieser Zeit aber wirklich nachweinen? Selbst wenn man die großen Redner, die charismatischen Persönlichkeiten, den politischen Mut jener Jahre vermisst, was ich manchmal selber auch tue? In jenen Jahren war zum Beispiel Franz Josef Strauß einer der Großen, der wegen seiner rhetorischen Potenz und seines politischen Instinkts zu Rechtgepriesen wurde, aber höchstpersönlich Konten eröffnete, auf die Spenden eingezahlt wurden, wobei es jedoch ganz allein seine Entscheidung war, ob er das Geld an seine Partei weiterreichte oder für sich behielt. So wurde er in seinem Beruf reich. Der lange Arm der bayerischen Staatspartei reichte damals so weit, dass eine Gymnasiastin in Regensburg von der Schule verwiesen wurde, nur weil sie eine Stoppt-Strauß-Plakette auf ihrem Parka haften hatte. Erwachsene Menschen, die beim Bayerischen Fernsehen arbeiteten, mussten zittern, wenn eine Sendung in den Augen der CSU zu kritisch geraten war; manchmal fiel sie dann einfach aus dem Programm. Und auf dem Höhepunkt der Gewerkschaftsmacht in Deutschland betrieben Manager des Gewerkschaftskonzerns Neue Heimat über Strohmänner Privatfirmen, um sich zu bereichern.
Ich sehne mich übrigens auch nicht zurück nach den großen Leitwölfen in Industrie und Medien. Sie haben Großes geleistet, sich oft aber auch ein Maß an Willkür und Selbstgerechtigkeit herausgenommen, das heute kein Jüngerer mehr ertragen würde. Sie waren zwar in der Lage, jede noch so vertrackte politische Auseinandersetzung zu beurteilen, den Regierenden ihren Rat aufzudrängen. Aber wenn sie selbst an einem Konflikt beteiligt waren, kam ihnen ums Verrecken nicht die Frage in den Sinn: Welchen Anteil habe ich an diesem Konflikt?
Ich empfinde es also nicht als Verlust, wenn ich es nicht mehr mit Verlegern oder Chefredakteuren zu tun habe, die eine Kultur der Angst pflegten,bei denen man von einem Tag auf den anderen in Ungnade fallen konnte, und sei es auch nur, weil man sich eines Tages in die falsche Frau verliebt hatte oder weil es dem Chef bei seinen Machtspielchen einfach so gefiel. Allem Gerede zum Trotz: Auch die politischen Spitzenkräfte sind heute noch zum Teil hochintelligente, besonders fähige Menschen, und zwar quer durch alle Parteien, und wer sie gering schätzt, der sollte wenigstens nicht verlogen sein: Wenn man nicht selbst den Mut oder die Kraft aufbringt, in die Politik zu gehen, darf man sich auch nicht immer nur beklagen.
Ich habe als Schüler und Student, später dann in jener Bürgerinitiative, die unter dem Motto »München – eine Stadt sagt Nein« eine Lichterkette gegen Ausländerhass und Rechtsradikalismus veranstaltete, fantastische politische Talente kennengelernt, von denen einige auch in den Jugendorganisationen der Parteien aktiv waren. Kein Einziger von ihnen ist später in die Politik gegangen. Die meisten haben auch ganz ehrlich den Grund genannt: Das ist mir zu mühsam, zu undankbar, für das bisschen Geld lasse ich mich nicht bei der erstbesten Gelegenheit von den Medien an den Pranger stellen und von jedem, der gerade mag, als Watschenmann behandeln – das auch noch bei Sechstagewochen und Tagen, an denen es kaum eine Stunde Freizeit gibt.
Politik ist eine entsetzliche Mühle, und wer rausfällt, stürzt oft abgrundtief. Theo Waigel, der früher mächtige CSU-Politiker und ehemalige Finanzminister, hat mir mal erzählt: »Was meinen Sie, wie das ist, wenn Sie das Amt los sind und zu einer Veranstaltung gehen:Der Einzige, der noch freiwillig zu Ihnen kommt, ist der Ober – um Ihnen die Rechnung zu bringen.«
Soll ich Mitleid haben? Das kann nicht unsere Haltung gegenüber Politikern sein.
Um Mitleid geht es mir gar nicht. Aber doch um einen gewissen grundlegenden Respekt davor, dass sich Leute der Politik aussetzen.
Dabei fällt mir ein: Mich interessieren Menschen, denen es in ihrem Leben um Macht geht (und das sind ja nun, unter anderem, die Politiker), in der Regel nicht besonders. Machtstreben hat etwas Ausschließliches, etwas, dem der Mensch alles andere in seinem Leben unterordnen muss. Machtstreben nimmt den nach Macht Strebenden komplett in Beschlag, und das gibt, wie ich finde, ihm etwas Eindimensionales, Uninteressantes.
Aber wer kein bisschen an Macht interessiert ist, der wird auch nie etwas verändern. Es kann so jemanden auch gar nicht geben – so wenig wie einen Kreativen, der ganz und gar uneitel ist.
Im Übrigen hängt das Machtstreben ganz stark mit dem
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