Wofür stehst Du?
Finanzkollaps drohte, gelang ihnen die Rettung der Welt, jedenfalls bis zum heutigen Tage.Bezeichnenderweise kenne ich keine beteiligte Regierung, die bislang in Anerkennung dieses Verdienstes wiedergewählt worden wäre, schon gar nicht die Große Koalition in Deutschland, trotz allem Einsatz von Angela Merkel und Peer Steinbrück.
Übrigens fühle ich mich nicht unwohl dabei, das alles aus der Distanz zu beobachten, mich nicht mehr wirklich zu interessieren. Es ist eine Haltung, die bequem ist, und manchmal finde ich, dass ich – bei der vielen Arbeit, die ich habe – mir diese Bequemlichkeit auch gönnen könnte. Muss ich mich wirklich interessieren? Muss ich mich mit alledem beschäftigen? Liegt nicht das Großartige eines Staates wie des unseren auch darin, dass er mich in Ruhe lässt? Dass er mir die Freiheit gibt, mich um alles Politische den Deubel zu scheren?
Es gibt da eine seltsame Geschichte: Ich war viele Jahre lang politischer Journalist, immer noch diesem nie ausgesprochenen Vater-Auftrag folgend, dem Gefühl, er werde mir vielleicht einmal so zuhören, wie er den Werner-Höfer-Runden einst im Fernsehen zuhörte, er werde sich für mich so begeistern, wie er sich für die Leute da im Fernsehen begeisterte. Ich fühlte mich, ohne mir dieses Gefühl je wirklich bewusst zu machen, mir selbst fremd, wenn ich Leitartikel und Kommentare schrieb, wenn ich Helmut Kohl nach Polen begleitete und aus Bonn über den Wahlabend berichtete.
Dann starb mein Vater. Und vier Wochen später wurde Helmut Kohl wieder zum Bundeskanzler gewählt, zum letzten Mal. Am Morgen nach der Wahl sollte ich in einFlugzeug steigen, nach Berlin fliegen und an irgendeinem politischen Thema arbeiten, ich habe vergessen, was es war, nur, dass es mir zuwider war wie noch nie eines, das weiß ich.
Morgens um fünf erwachte ich, schweißgebadet, in den Ohren ein lautes Brummen wie von einer defekten Neonröhre. Ich hatte einen Hörsturz, flog nicht nach Berlin und beendete (nicht sofort, erst nach einiger Zeit, aber hier begann doch der Entschluss) meine Karriere als politischer Autor.
Es gibt, je älter ich werde, eine Reihenfolge von Prioritäten in meinem Leben: In dieser Tabelle stehen an allererster Stelle mein Beruf und meine Familie. Ich bin verantwortlich für meine Kinder, die Beziehung zu meiner Frau, meine Begabungen. Sich dem zu widmen, kostet viel Zeit, auch weil ich von meinen Eltern nicht aufs Beste für ein glückliches Privatleben gerüstet worden bin. Wofür sie nichts konnten, sie hatten Grenzen, die ihnen von ihrer Zeit und den Umständen gesetzt worden waren.
Um nur ein Beispiel zu nennen, einen Punkt, von dem an anderer Stelle schon die Rede war: Mein Vater war sieben Jahre lang Soldat, im Krieg, in einem auch von seiner Generation verursachten, umfassenden, verbrecherischen Krieg – und er hatte über all das, über Schuld, Angst, Tod, Verbrechen nie mit mir oder mit irgendjemand sonst geredet. Meine Mutter war sehr klein gewesen, als ihre Mutter ihren Mann verlassen hatte – und sie sollte diesen ihren Vater als Kind nur einmal flüchtig wiedersehen. Auch diese Geschichte erfuhr ich erst als Erwachsener.
Ich habe das Schweigen über die grundlegenden Dinge in der Familie immer als großes Unglück gesehen und empfinde dieses mir natürlich auch anerzogene Schweigen als einen Fehler, den ich selbst in meinem Leben nicht machen möchte – wie ich überhaupt glaube, das alles Unglück im Leben immer aus dem Schweigen kommt, nie aus dem Reden.
Das sind Gründe, aus denen ich mit den Jahren ein immer mehr und geradezu leidenschaftlich auf mein Privatleben hin orientierter Mensch geworden bin, einer, dem ein Gespräch mit seinen Kindern oder seiner Frau immer wichtiger sein wird als jede Talkshow über Probleme unserer Rentenversicherung.
Je länger ich mich beim Älterwerden beobachte, umso stärker muss ich bekennen: Manchmal fühle ich mich wie ein kleines Arschloch. Diese Prioritätenliste Familie-Karriere-Politik haben doch meistens Menschen, denen es besonders gut geht: Sie können einem erfüllenden Beruf nachgehen und verdienen damit auch noch Geld, manchmal sogar so viel, dass sie ihrer Familie ein viel besseres Leben ermöglichen können als jene, die neben ihrer Arbeit zum Beispiel ein politisches Ehrenamt ausüben. Und selbst wenn sie ganz viel arbeiten, haben sie meistens mehr Zeit für ihre Familie als viele Politiker.
Wenn es etwas gibt, was man von jenen, denen es gut geht in Deutschland,
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