Wofür stehst Du?
Bedürfnis nach sozialer Revanche zusammen. Was für fantastische Geschichten es doch sind, die Gerhard Schröder oder Joschka Fischer verkörpern!Da wird ein Mann durch eigene Anstrengung, Intelligenz und eben Willen zur Macht Bundeskanzler, dessen Mutter Putzfrau und dessen Vater Kirmesarbeiter war. Da wird einer Außenminister (der schillerndste, den wir je hatten) und braucht dazu nicht einmal das Abitur. Ein wunderbares Land, in dem das möglich ist! In der Wirtschaft sind Klaus Kleinfeld und René Obermann aus kleinen Verhältnissen ganz nach oben geklettert; Kleinfeld war zehn, als sein Vater starb, Obermann wuchs bei seinen Großeltern auf. Der eine war zweieinhalb Jahre Vorstandsvorsitzender von Siemens, der andere ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom und führt den Konzern ohne jedes Imponiergehabe.
Aber man hatte doch früher das Gefühl, Politiker folgten noch ihren Überzeugungen, sie stünden wirklich ein für das, was sie wollten. Heute managen sie nur noch Stimmungen, sie dienen sich dem Volk an, sie laufen ihm hinterher, statt ihm Führung anzubieten. Heute gibt es bloß die Verwaltung von Notlagen, das Abwenden von Katastrophen und Politiker, die geradezu Furchtsamkeit ausstrahlen. Der Journalist Dirk Kurbjuweit hat das im Spiegel sehr schön beschrieben: »Die Politiker von heute haben vor allem eine Fähigkeit: Sie können sich in eine vermutete Volksstimmung hineinschmiegen. Sie können die eigenen Überzeugungen, soweit vorhanden, zwischen Designersätzen verschwinden lassen. Viele bringen erst gar keine Überzeugung mit, sind nur noch Experten für eine Verschwommenheit, die auf dem Bildschirmgut rüberkommt. Sie sind Ängstliche, erstarrt vor der Volksschlange.«
Bitte: Zitier doch keine Journalisten! Nie gab es in Deutschland mehr Medien als heute, nie waren sie freier. Und doch haben sie einen fatalen Hang, sich an die Spitze der Nörgler und Herumhacker zu stellen, weil sie sich davon noch am ehesten das Interesse ihrer Leser und Zuschauer für Politik versprechen, die ansonsten der Parteipolitik müde sind. Lass uns nicht über Selbstverständliches reden, nämlich darüber, dass Journalisten in erster Linie dazu da sind, kritisch über alles zu berichten – von den Nöten der Milchbauern im Chiemgau bis zum Versuch der Vertuschung eines Massakers an afghanischen Zivilisten bei Kundus. Aber sie sind doch auch Mittler, und in diesem Prozess dafür verantwortlich, dass die Leute verstehen, warum viele Entscheidungen lange dauern und wahnsinnig kompliziert sind. Außerdem frönen sie einer paradoxen Leidenschaft zum Gleichklang: Gerade Journalisten neigen dazu, zu jedem Trend gleich den Gegentrend auszurufen, zu jeder These gleich die Antithese. Das, was gestern als richtig galt, soll heute plötzlich falsch sein.
Um die Jahrtausendwende wurde von den meisten Journalisten eine Entschlackung des überbordenden Sozialstaats angemahnt. Als dann aber die Hartz-Gesetze in Kraft traten, wurden sie als unsozial gebrandmarkt. Vor der Bundestagswahl 2005 schwenkten einige Medien schon wieder um und schlugen sich auf die Seite Angela Merkels, die damals noch für einen radikalen Reformkurs stand – was mit Beginn der Großen Koalition auch schon wieder Geschichte war. Nach dem Bankencrash, in einer Phase derRezession, forderten dann plötzlich viele Kommentatoren, die vorher den deregulierten Markt beschworen hatten, eine »Renaissance des Staates«, der retten, eingreifen und Konjunkturpakete schnüren sollte.
Bei der Wahl 2009 ging es so weiter: Im Bild der Medien hatte erst die Große Koalition angeblich abgewirtschaftet; eine Alternative aus SPD, Grünen und Linken wurde sowieso als regierungsunfähig dargestellt. Die neu gewählte schwarz-gelbe Koalition hatte dann aber nach wenigen Wochen einen »Fehlstart« hingelegt. Und daraufhin galt plötzlich wieder die Arbeit der vorherigen Großen Koalition als gar nicht so übel. Am Ende steht für den Leser allenfalls wieder die Erkenntnis: Politiker sind alle gleich, gleich schlecht.
Ähnlich sind sich aber vor allem die Journalisten, die auch Strauchelnde erschreckend konformistisch abkanzeln. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck war zwei Jahre lang Vorsitzender der SPD. In dieser Zeit hat er weder seine Partei noch die meisten politischen Beobachter besonders überzeugt. Aber warum ihn deshalb über Monate hinweg mit Tiraden voller Hohn und Spott überziehen? Hier eine kleine Sammlung von Invektiven, die innerhalb
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