Wofür stehst Du?
weniger Wochen in deutschen Tageszeitungen und Magazinen veröffentlicht wurden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber wörtlich zitiert: »Räuber Hotzenplotz«, »Mainzelmännchen«, »Grauen vom Lande«, »Dickschiff«, »Manta-Fahrer«, »Problembär«,»Meerschweinchen«, »Bauer«, »Prolet«, »Kleinbürger«, »Couch-Potato«.
Natürlich haben sich die meisten Journalisten dann wieder mit Abscheu und Empörung gegen den Vorwurf gewehrt, hier habe so etwas wie eine Hatz oder Rudeljournalismus stattgefunden.
Aber das meine ich doch: das Gefühl, dass der politische Betrieb Menschen zerreibt, dass er Menschlichkeit nicht mehr zulässt. Jeder noch so hoffnungsvolle Politiker enttäuscht nach einer Weile, jeder menschlich doch vollkommen verständliche Fehler wird unnachsichtig geahndet.
Diese allgemeine Enttäuschung über Politik ist eine Ausrede. Was macht denn die Enttäuschung aus? Die Erfahrung, dass sich das schönste politische Vorhaben nach kurzer Zeit an der Realität bricht, an Zwängen, Widerständen, menschlichen Unzulänglichkeiten? Das verführt dann zu der allgemeinen Klage, die Politiker seien doch eh alle gleich. Aber im Grunde genommen handelt es sich um eine anthropologische Konstante: Egal, was wir anpacken, nach kürzester Zeit wird es im Konkreten mühsam, und wir hadern nicht nur mit den Strukturen, sondern auch mit unseren eigenen Schwächen und den ewig gleichen gruppendynamischen Prozessen.
Als wir 1992 die erwähnte Lichterkette organisierten, hätte die Resonanznicht größer sein können. Trotzdem hatten die vier Initiatoren schon nach wenigen Tagen untereinander Zoff: Der eine war plötzlich eifersüchtig auf die mediale Präsenz des anderen, sodass man ihm später ausgleichshalber alle Preisverleihungen überlassen musste; dem anderen warf man vor, dass er sich in entscheidenden Momenten immer drücke; und ein Dritter musste sich des Verdachts erwehren, er nutze die Lichterkette zur Förderung der eigenen Firma. Ein Glück, dass es bei der Organisation dieser einen Lichterkette blieb. So blieben die Freundschaften bis heute erhalten.
Aber all das nimmt eben dem politischen Engagement nicht seinen Wert. Denn entscheidend ist nicht das allzu Menschliche, sondern dass es immer wieder Männer und Frauen gibt, die auch nach schlechten Erfahrungen einen neuen Anlauf wagen – beladen mit Hoffnungen, die meist viel zu groß, aber wahrscheinlich nötig sind, um dem Aufbruch den richtigen Anschub zu geben.
Bloß: Wie geht man mit dem Gefühl um, dass Politik heute offenbar immer weniger bewirkt, dass sie hilflos erscheint bei vielen Problemen, dass unser Steuersystem unreformierbar erscheint und dass zum Beispiel alle Reaktionen auf die bevorstehenden Klimaveränderungen sich nur mit den Worten charakterisieren lassen: zu spät, zu wenig, zu klein? Welche Haltung nimmt man ein angesichts einer weitverbreiteten Gleichgültigkeit, die vielleicht weniger mit Desinteresse als mit Ohnmacht zu tun hat?
Indem man, verdammt noch mal,Maß nimmt und anerkennt, dass einige Probleme zwar jetzt unlösbar erscheinen, andere aber sehr wohl angepackt werden, und seien sie noch so schwer. Und dass unsere Erwartung oft größenwahnsinnig ist, eine Regierung, eine Partei oder gar ein Politiker könne alle Aufgaben alleine meistern. Ich könnte schon meine Steuererklärung nicht einmal unter Androhung von Folter ohne fremde Hilfe bewältigen. Die Klimapolitik ist ein Trauerspiel, ja, aber auch eine Prüfung nie gekannten Ausmaßes. Paradoxerweise verstößt die Aufgabe, unseren Planeten zu retten, auch gegen elementarste Naturgesetze: Einen großen Teil unserer Schaffenskraft schöpfen wir aus dem Bestreben heraus, die Familie, den Heimatort, meinetwegen noch das Land, in dem wir leben, gegen andere Gruppen zu schützen und abzugrenzen. Eine wirksame Klimapolitik aber braucht nicht nur die Verständigung aller wichtigen Staaten der Welt, sie müsste auch die Interessen Einzelner zumindest vorübergehend zurückstellen, denn die richtigen Maßnahmen bedeuteten vielerorts weniger Wachstum, außerdem gäbe es selbst bei einer recht hohen globalen Klimaerwärmung noch Regionen, die Glück im Unglück hätten und von einem milderen Klima profitierten. Und das alles sollen Umweltminister und Regierungschefs in wenigen Jahren überwinden?
Dafür haben unsere Politiker vor Kurzem nahezu ein Wunder vollbracht, in kürzester Zeit und über alle Staatsgrenzen hinweg. Als im Herbst 2008 der internationale
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