Wofuer wir kaempfen
brauchen würde, um meine Kinder aufzufangen und selbst in der Spur zu bleiben, also bat ich die beiden: ›Bitte fahrt zu meinen Schwiegereltern raus und sagt denen Bescheid. Ich kümmere mich um Robin und Henry.‹
Bis das Training der Kinder aus war, hatte ich noch eine Stunde Zeit. Mein erster Gang war zu meiner Mama. Wenn du dich mit deiner Mutter gut verstehst, bist du sofort wieder Kind, wenn so ein Schlag dich umzuwerfen droht. Ich bin zu ihr in die Arbeit, und dort stand sie wie immer, seit ich mich erinnern
kann, mitten in ihrem kleinen Spielzeugladen. Seit meiner Kindheit war das immer mein Zufluchtsort – wenn was war, zu meiner Mama in den Spielzeugladen. Ich habe die Tür aufgerissen, und sie hat mich angeschaut und wusste sofort, was los ist. Bis dahin hatte ich gut funktioniert: Ich konnte ruhig Auto fahren, in der Arbeit Bescheid sagen, dass ich nicht komme. Aber in diesem Moment, als meine Mama mich angeschaut hat, habe ich mich fallen gelassen und hemmungslos geweint. Sie hat mich nur fest in den Arm genommen. Sie war ein sehr positiver, dem Leben zugewandter Mensch, der alles, was kam, gutmütig angegangen ist, und wenn ich etwas von meiner Mutter mitgenommen habe für mein eigenes Leben, dann ist das die tiefe Liebe zu den eigenen Kindern, zur Familie und das Vertrauen, dass es für alles eine Lösung gibt. Ich habe sie häufig sagen hören: ›Der liebe Gott lädt nur so viel Last auf deine Schultern, wie du selbst tragen kannst. Aber tragen musst du sie ein Stück auf deinem Weg.‹ Das habe ich von ihr gelernt: Egal, wie ausweglos die Situation scheint, das Leben geht immer weiter. Der Strom des Lebens ist so mächtig und so stark, er findet seinen Weg durch jedes Hindernis, wie Wasser teilt er sich und fügt sich wieder zusammen und bleibt immer in Bewegung, schafft neue Möglichkeiten und Sichtweisen – und wenn du offen bleibst und voller Zuversicht, dann wirst du die Chancen sehen können, die dich selbst weiter und aus deiner Krise bringen.
An all das erinnerte ich mich voll Dankbarkeit, als ich in den Armen meiner Mutter lag und weinen konnte. Und es gab mir alles, was ich brauchte, um die kommenden Tage zu überstehen. Dann bin ich wieder ins Eisstadion, um die Kinder abzuholen, und zurück nach Hause. Vor unserer Tür wartete schon ein befreundeter Feldjäger mit seiner Frau auf uns, um uns zu helfen. Die Kinder haben gespürt, dass etwas anders ist als sonst. Dass wir Hilfe benötigen könnten, war den Kindern völlig fremd –
wir hatten immer alles bestens im Griff. Erwachsene mit besorgten Mienen. Eine gedrückte Stimmung. Dauernd Telefonate. Sie haben sich dann ganz schnell zusammengereimt, dass die Feldjäger am Eisstadion kein Zufall waren und dass es mit ihrem Vater zusammenhängen musste. Ich habe ihnen gesagt, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie waren relativ ruhig – weil ich ruhig war. Ich wusste, wenn ich jetzt den Kopf verliere, werden meine Kinder auch kopflos werden. Wenn sie mich ratlos und weinend sehen, wird sich das Gefühl bei ihnen breitmachen, dass alles aussichtslos ist, dass wir es nicht schaffen können. Und das wollte ich nicht zulassen, denn es gibt nichts im Leben, was man nicht schaffen kann. Anpacken und weitermachen, egal was passiert – genau das habe ich versucht meinen Kindern mitzugeben und vorzuleben. Egal wie groß das Problem ist, das gerade auf einen zukommt: Es gibt nichts, wofür es nicht auch eine Lösung gibt – man muss sie suchen, bis sie wie von selbst auf einen zukommt. Das dauert vielleicht einen Moment, und die Suche kann schmerzhaft sein – aber man muss suchen und offen bleiben, dann passiert es irgendwann.«
Banges Warten auf mehr Klarheit
Tino und ich, wir wollten ja erst heiraten und hatten noch keine Kinder. Ich weiß nicht, wie ich damals reagiert hätte, wenn wir schon Kinder gehabt hätten oder gar eines unserer Kinder verletzt worden wäre. Die Nachricht von dem Anschlag hat uns alle an unterschiedlichen Orten erreicht – aber jeden mit voller Wucht getroffen.
In Chemnitz spürt Tinos Mutter, dass etwas nicht rund läuft – seit dem Morgen schon ist sie von einer tiefen Unruhe erfasst, vielleicht weil Mütter immer eine ganz besondere Beziehung zu ihren Söhnen haben.
Als wir später über diesen Tag sprachen, hat mir Tinos Mutter
erzählt: »Am Tag, als es passierte, hatte ich schon den ganzen Morgen über ein komisches Gefühl. Mittags kam der Anruf meiner Schwiegermutter, die war damals schon 94 Jahre alt,
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