Wofuer wir kaempfen
hat aber jede Stunde Nachrichten gehört. So wusste sie von dem Anschlag in Kabul und machte sich Sorgen. Ich habe sie beruhigt und ihr gesagt, dass ich Montagabend immer mit Tino telefoniere und ihr dann Bescheid geben würde. Ich wollte sie nicht beunruhigen, glaubte aber nicht wirklich, was ich gesagt hatte.
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, rief ich in Tinos alter Kaserne bei den Feldjägern in Frankenberg an. Die Feldjäger bestätigten, dass es einen Zwischenfall gegeben habe – angeblich fehlten aber genauere Informationen. Mittags kam mein Mann von der Arbeit, und wir haben zusammen Nachrichten geschaut. Wir erkannten das zerstörte Auto von den Fotos, die Tino von seinem vorigen Einsatz mitgebracht hatte. Das war ein Schock für uns, obwohl wir noch nicht wussten, ob er betroffen war. Eine Stunde später läutete es an der Tür. Durch die Scheibe sah ich die Silhouette von zwei Männern in Uniform und wurde ganz wackelig auf den Beinen. Ich habe die Tür aufgerissen. Da standen zwei Feldjäger, den einen kannte ich vom Sehen. Ich vermutete sofort das Schlimmste, aber er beruhigte mich: ›Tino ist nicht der tote Kamerad. Aber er ist betroffen.‹ Wir baten die beiden ins Wohnzimmer und saßen da bei viel Kaffee ziemlich ratlos herum und warteten auf neue Informationen. Aber es gab keine. Am späten Abend kam die Nachricht, dass Tino am nächsten Tag aus Kabul ins Bundeswehrkrankenhaus nach Koblenz ausgeflogen werde und wir dort hingefahren würden. Nachdem die Feldjäger gegangen waren, habe ich mit meiner Tochter Heike telefoniert.«
Tinos Schwester Heike ist am Tag des Attentats unterwegs nach Murnau – von Koblenz aus, nicht ahnend, dass Tino am
nächsten Tag genau dort eintreffen wird. Heikes Freund war damals Luftwaffenoffizier bei der Bundeswehr. Die beiden hören auf der Fahrt kein Radio und so bekommen sie auch die ersten beunruhigenden Nachrichten nicht mit. Auf dem Handydisplay muss Heike gesehen haben, dass ich ein paarmal versucht habe, sie zu erreichen. Aber der Empfang war wohl zu schlecht. Am Abend will sie in Murnau eintreffen, wo sie als Krankenschwester in der Unfallklinik arbeitet. Und so ist es ihre Mutter, die Heike die Nachricht über den Anschlag auf Tino mitteilt. Heike steht an der Kasse eines Outletcenters in Herzogenaurach, wo sie gerade ein Paar Laufschuhe bezahlen will. Als sie hastig abnimmt, hört sie zunächst nur ein Schluchzen. Ihre Mutter ist am Telefon. »Tino hat es erwischt.« Dann Stille. Für Heike ist es ein Schock. Mehr kann die Mutter nicht sagen, sie ist so aufgelöst, wie Heike sie noch nie erlebt hat. Plötzlich ist der Krieg ganz nah. Tino. Heike merkt, dass ihr in diesem Moment die Knie weich werden. Bilder aus der Kindheit mit Tino ziehen an ihr vorüber. Tino beim Fahrradfahren. Herumtoben draußen in der Natur bis Sonnenuntergang. Heike lässt die bereits bezahlten Schuhe an der Kasse stehen. Sie überlegt mit ihrem Freund umzukehren und nach Koblenz zurückzufahren. Sie wissen, dass alle Verletzten aus Afghanistan zunächst ins Bundeswehrzentralkrankenhaus ausgeflogen werden. Sie entschließen sich jedoch fürs Erste, zu mir nach Murnau zu fahren, um mir beizustehen.
Ich war zu dieser Zeit auf dem Weg nach Hause, eskortiert von einem Feldjägerauto und mit einem Feldjäger am Steuer meines Wagens. Von meinen Kollegen in der Werbeagentur hatte ich mich einzeln verabschiedet. Alle waren sehr bewegt, ich hatte niemandem erzählt gehabt, dass mein Freund als Bundeswehrsoldat in Afghanistan im Einsatz ist – damit ging man damals einfach nicht hausieren, weil man nie sicher sein konnte, ob die Leute das positiv aufnehmen. Jetzt sah ich in den Gesichtern
meiner Kollegen: Sie waren betroffen und schockiert. Sie wussten nicht, wie sie mir gegenübertreten sollten. Damals kannte kaum jemand persönlich einen Bundeswehrsoldaten, der bei Auslandseinsätzen war. Heute, wo bereits über 200 000 Soldaten Dienst im Einsatz geleistet haben, ist das schon anders. Meine Kollegen kannten den Krieg nur aus den Nachrichten. Bisher war das alles ganz fern gewesen, und jetzt stand ich hier: Antje, deren Mann es in Afghanistan erwischt hatte. Die Kollegen waren wunderbar. Mein Grafikchef hat mich umarmt. Alle waren aufmerksam. Es war ein endgültiger Abschied, denn mir war klar, dass ich an einem Wendepunkt in meinem Leben angelangt war und dass es lange dauern würde, bis ich wieder ein normales Leben führen und meinen Berufsweg fortsetzen könnte.
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