Wofuer wir kaempfen
verletzter Menschen kennt man als Notfallarzt, das gehört leider zum Beruf. Eigentlich kein Thema. Was mir diesmal schwer nachhing – weil man das auch nicht jeden Tag sieht –, waren die Verletzungen von Stefan Deuschl. Als wir die frischen Amputationsstümpfe beim Verbandswechsel sahen, hat uns das alle sehr tief bewegt. Der Stumpf in diesem Zustand ist eine große Wunde über den Querschnitt des ganzen Beins, provisorisch abgenäht mit einem umgeklappten Hautlappen aus dem Oberschenkel, damit der Knochen abgedeckt ist und später zuwachsen kann.
Die Verletzungen waren massiv. Ich mache seit 20 Jahren Rettungsdienst und habe 5000 Einsätze auf dem Buckel – da gibt es eigentlich kaum noch etwas, das man nicht gesehen hat. Aber diese Sinnlosigkeit, einen Menschen absichtlich so zu schädigen, das geht einem sehr nahe. Die Opfer, beides junge Menschen, hatten ihren Dienst in Afghanistan geleistet, um zu helfen – und jetzt hatte es beiden die Beine weggerissen.
Der Transport ist ein sehr heikler Moment und erfordert alle Aufmerksamkeit; Start und Landeanflug bedeuten für den Kranken eine sehr kritische Phase, weil durch den Sink- oder Steigflug eine starke Lageveränderung eintritt. Es kommt zu Verschiebungen im Blutvolumen in den jeweiligen Körperregionen allein durch die Schwerkraft. Die Piloten wissen das, sie starten und landen in einem möglichst flachen Winkel. Das zweite Problem ist, dass die Patienten bei Start und Landung Druckunterschiede ausgleichen müssen, obwohl sie bewusstlos
sind. Ein weiteres Problem: Der Luftdruck in der Kabine kann aus technischen Gründen nicht beliebig verändert werden, was bedeutet, dass der Sauerstoffgehalt im Blut bei einer Reisehöhe von 12 000 Metern deutlich schlechter wird. Durch den veränderten Luftdruck dehnen sich während des Flugs die explosionsbedingten Lufteinschlüsse im Körper aus und können dabei wichtige Blutkapillaren und Nerven im Wundbereich abdrücken. Auch die Beatmung stellt hohe Anforderungen an das MedEvac-Team. Die auf Bodenniveau eingestellten Beatmungsgeräte müssen während der Start- und Landephase mit der Flughöhe ständig nachjustiert werden. Die Ärzte können nur durch eine erhöhte Sauerstoffgabe an den Patienten gegensteuern. Im Idealfall bleibt der betäubte Patient während des Flugs stabil, Herzschlag und Kreislauf sind normal und die Ärzte müssen nicht viel tun.
Bei Tino und Stefan war es nicht so. Im Gegenteil. Beide mussten während des Flugs gegen all diese negativen Wirkungen ankämpfen – sie haben um ihr Leben gerungen, das hat man deutlich gespürt. Immer wieder sackte der Kreislauf der beiden ab oder stieg die Herzfrequenz plötzlich um zehn bis zwanzig Punkte, vor allem bei Stefan, der noch mehr Blut verloren hatte als Tino. Wir haben deutlich registriert, dass während des Flugs der Bedarf an Medikation und Schmerzmitteln stark angestiegen war, weil offensichtlich große Schmerzen den Körper in Unruhe versetzten. Auch die Sauerstoffwerte im Blut haben sich ständig verschlechtert. Es war ein ständiges Auf und Ab zwischen Hoffen und Bangen.
Wenn die Überwachungsgeräte Alarm schlagen, müssen wir sofort nach den Ursachen suchen und fragen: Was geschieht da gerade im Körper? Hat der Verletzte Schmerzen? Entwickelt der Patient Fieber? Ist etwa schon jetzt eine Infektion im Anflug? Bei der Schwere solcher Verletzungen ist eine Infektion die Regel – aber später und nicht schon am zweiten Tag nach
dem Anschlag. Es wäre ein Alarmsignal, wenn schon jetzt eine Infektion ausbrechen würde – in jedem Fall muss gegengesteuert und genau untersucht werden, ob es weitere Ursachen gibt. Wir hatten wirklich alle Hände voll zu tun, die beiden zu stabilisieren. Vor allem Tinos Bein bereitete uns Sorgen. Der Sauerstoffwert seines Blutes nahm weiter ab. Wir sind den ganzen Flug über förmlich um ihn herumgetanzt und haben alles versucht, die Durchblutung zu fördern. Wenn es mal eine Viertelstunde nichts zu tun gab, sind wir völlig übermüdet zusammengesackt – und dann denkt man natürlich, so eine Scheiße, was wird der jetzt machen ohne Beine, wie werden die Kinder, die ganze Familie damit zurechtkommen. Aber mit solchen Gedanken bleibt man allein. Im Team redet man darüber kaum. Dafür fehlt die Zeit – die Mission ist das beherrschende Thema und was als Nächstes zu tun ist.
Eine Stunde vor der Landung in Köln begann die letzte eingehende Untersuchung der Verletzten für die Ausschleusung. 15 Minuten vor
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