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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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der Landung muss alles fertig sein. Und so nahm ich kaum wahr, wie der Airbus über den Rhein und den hell erleuchteten Kölner Dom eine Schleife flog und in den Landeanflug überging. Beim Aufsetzen des Airbus spürte ich wieder Zuversicht. Wir hatten unser Ziel erreicht – unsere beiden verwundeten Soldaten hatten den Flug überlebt. Mit der Einlieferung in das Bundeswehrzentralkrankenhaus würden ihre Chancen beträchtlich steigen.
    Als Tino und Stefan endlich oben auf der Intensivstation lagen, hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, unsere Erschöpfung zulassen zu können. Plötzlich sagte eine Stimme neben mir: ›Jetzt müssen wir aber mit den Angehörigen sprechen – die sitzen unten im Hotel und wissen noch gar nicht, was genau los ist. Wer sagt jetzt denen was?‹ Es war der Militärpfarrer, der für alle Fälle auch für den seelischen Beistand der Angehörigen herbeigerufen worden war. Mir war nicht klar gewesen, dass
die Familien den ganzen Abend auf eine Nachricht von uns gewartet hatten und nichts Genaues über den Zustand ihrer Männer und Söhne wussten. Es ist ein sehr schwerer Gang, einer Mutter und Ehefrau sagen zu müssen, dass ihr Sohn oder Mann zwar überlebt hat, aber beide Beine weg sind, und schlimmer noch, sagen zu müssen, dass er noch lange nicht über dem Berg war. Wir waren nun über 16 Stunden im Dienst, und ich konnte mir alles Mögliche vorstellen, was ich in diesem Moment lieber getan hätte. Ich habe trotzdem sofort geantwortet: ›Das mache ich.‹
    Stefan Deuschl war klinisch tot, als er ins Einsatzlazarett im Camp Warehouse gebracht wurde. Bei sehr hohem Blutverlust können in kurzer Zeit weite Teile des Gehirns absterben. Niemand konnte das zu diesem Zeitpunkt ausschließen. Für jeden Angehörigen ist es am wichtigsten, dass die Persönlichkeit des Verletzten erhalten bleibt, dass keine Hirnverletzungen, keine Entstellungen eingetreten sind. Tino Käßner war ansprechbar gewesen und bei klarem Verstand, als er ins künstliche Koma versetzt worden war. Stefan Deuschl nicht. Ich konnte Stefans Frau nicht Mut machen und sagen, im Kopf ist bestimmt alles okay – wir haben noch mit ihm sprechen können. Allerdings waren die Messungen auch nicht alarmierend. Alles würde sich erst in den nächsten Tagen entscheiden, wenn der Patient aus dem Koma erwachen würde. So stand alles auf Messers Schneide.«

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
    Wir waren währenddessen noch unterwegs auf der Autobahn. Erst kurz vor dem Hotel kam über Funk die ersehnte Nachricht, dass der MedEvac-Airbus in Köln gelandet war und die beiden auf dem Weg ins Bundeswehrkrankenhaus nach Koblenz waren. Für mich war das wie eine Erlösung: Tino endlich zurück in Deutschland! Eines der besten Krankenhäuser Deutschlands würde die beiden jetzt aufnehmen.
    Als wir am Hotel vorfuhren, wartete im hell erleuchteten Eingang schon Tinos Familie. Wir nahmen uns alle in die Arme und weinten still. Heike sah zum ersten Mal in ihrem Leben, wie bei ihrem Vater die Tränen flossen – ein Mann, der seine Gefühle sonst nur sehr schwer zeigen kann.
    Wir versammelten uns im Konferenzraum des Hotels, den Spieß Markus Eng für uns gebucht hatte. Im Hotel habe ich zum ersten Mal die Frau von Stefan, Violetta Deuschl, gesehen. Ohne große Worte haben wir uns gleich erkannt. Wir haben uns in die Augen geschaut, und wieder hat mich ein wildfremder Mensch wortlos in seine Arme genommen, um mich zu trösten, und auch ich habe sie an mich gedrückt. Ich spürte, dass wir Frauen dasselbe fühlten in dieser Situation. Für Violetta war das Ganze noch härter als Mutter von zwei Kindern, die ihren Vater abgöttisch liebten.
    Tinos damaliger Kommandeur hatte seine Schwester verständigt, die in Köln als Psychologin tätig war. Sie stand uns zur Seite. Sie war einfach da und hat zugehört, was sehr wichtig war. Vor allem, weil wir weiterhin Geduld brauchten. Wieder saßen wir da und warteten. Auf Menschen, die uns Nachrichten bringen, die der Ungewissheit ein Ende bereiten. Ich kann die Anspannung nicht beschreiben, unter der man steht. Wie
schon auf dem Weg hierher spekulierten wir wieder und wieder, was genau passiert sein könnte – und warum man uns nicht mitteilte, wie schwer die Verletzungen der beiden waren. War das Schweigen ein gutes oder eher ein schlechtes Zeichen? Die Einschätzung wechselte jede Minute zwischen dunkel und hell. Dann hieß es, die Begleitärzte des Flugs würden nach Versorgung der beiden Verletzten

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