Wofuer wir kaempfen
ergab sich aus unserem Gespräch heraus ganz natürlich. Antje und Tino hatten zudem gerade ihr Testament gemacht für den Auslandseinsatz, sich mit ihrem Tod beschäftigt. Sterben war also nicht mehr abstrakt. Und eine Verwundung ebenso wenig. Beide wussten, was sie tun. Für mich hatte es einen Riss in meinem Leben gegeben, als meine Tochter ihr Testament geschrieben hatte. Ich wollte von den beiden jungen Leuten wissen, wie sie darüber denken.
Tino zögerte, wir merkten, wie schwer es ihm plötzlich fiel, eine Antwort zu finden – aber dann kam es: ›Komischerweise: Das Schlimmste wäre, wenn ich meine Beine verlieren würde und nie mehr Sport machen könnte.‹ Nicht blind. Nicht verbrannt. Nicht eine Kopfverletzung. Für Tino waren seine Beine das Wichtigste. Das Schrecklichste wäre, die Fähigkeit zu verlieren, sich bewegen und seine Lieblingsportarten wie Radfahren, Skilaufen, Bergwandern oder Surfen nicht mehr ausüben zu können. Vielleicht lag die Ursache seiner Antwort schlicht darin, dass er gerade vom Surfen gekommen war und noch das Ziehen in seinen Oberschenkeln spüren musste, mit denen er sich gegen den Winddruck im Segel gestemmt hatte. Jedenfalls war es ausgesprochen und nicht mehr zurückzunehmen.
Die Beine. Ich höre das heute noch. Damit endete das Gespräch abrupt. Es war still in unserer Sandburg. Sand rieselte vom Wind getrieben über den Wall. Wir fühlten plötzlich alle in diesem Moment, wie weit wir gegangen waren. Wir hatten gemerkt, dass wir mit diesen Gedanken in einen Bereich gekommen waren, der das schöne, tiefe Gefühl dieses Sommers zu zerstören drohte.«
Die Rettung kommt vom Himmel – MedEvac
Am Montagabend nach dem Anschlag bereitet sich in Koblenz Oberfeldarzt Dr. Stefan Schaefer akribisch auf seinen Einsatz vor. Am nächsten Morgen soll sein Team mit einem MedEvac-Airbus zum 5000 Kilometer entfernten Luftversorgungsstützpunkt Termez in Usbekistan starten, um Tino und Stefan nach Hause zu holen. Noch weiß keiner, ob die beiden die Nacht überleben oder ihr Zustand stabil genug sein wird für den Rückflug. Den Ärzten ist klar, dass die Verletzten möglichst rasch nach Deutschland müssen, um ihnen die beste medizinische Versorgung zu geben. Spätestens 24 Stunden nach dem Aktivierungscode, so die Dienstvorschrift, muss der MedEvac der Luftwaffe auf dem Weg zum Zielort sein, um die Verletzten zu bergen. Alle bisherigen Einsätze des MedEvac haben gezeigt, dass Schwerstverletzte spätestens 24 Stunden nach der Verletzung mit schweren Komplikationen wie Nierenversagen, Blutvergiftungen, Wundinfektionen oder Lungenversagen rechnen müssen, die nicht im Einsatzland behandelt werden können, weil die Therapiemöglichkeiten sehr eingeschränkt sind im Vergleich zu Deutschland. Je früher der Rücktransport erfolgt, desto besser die späteren Heilerfolge, deshalb wird der Rückholflug mit höchster Priorität eingestuft.
Dr. Schaefer ist einer der Experten in Deutschland für Notfallmedizin und Langstreckenlufttransporte. Seine Erfahrungen sammelte er als leitender Notarzt des Rettungshubschrauberstandorts Christoph 23 in Koblenz. Wegen seiner zahlreichen Einsätze in der Notfallmedizin und der Flugrettung mit Hubschraubern, der Transall, der Challenger und dem Airbus wurde er ein gefragter Fachmann für Intensivtransporte und schließlich ärztlicher Berater bei der Konzeption der neuen
Patiententransporteinheiten im MedEvac. Die Einführung des MedEvac im Jahr 2000 war eine Folge der weltweiten Bundeswehreinsätze mit Schussverletzungen und Explosionsopfern. Heute ist das Kernstück der Rettungskette der Airbus 310 MRT MedEvac, der zur Versorgung und Evakuierung verletzter oder kranker Soldaten eine Luftbrücke schlägt vom Einsatzland bis in die deutschen Bundeswehrkrankenhäuser.
Dr. Stefan Schaefer hat uns später erzählt, was auf dem Flug von Kabul nach Deutschland passierte, als wir voller Angst und Ungewissheit von Murnau nach Koblenz gefahren sind: »Wenn der Alarmpieper geht, weißt du nie, was kommt und wohin es geht. Sicher ist nur: Da sind Menschen in höchster Not. Über den leitenden Sanitätsoffizier (LSO) in Kabul war der MedEvac über das Einsatzkräfteführungskommando in Potsdam und das Sanitätsführungskommando in Koblenz angefordert worden. Das fliegende Krankenhaus ist zwar 365 Tage im Jahr in einer 24-Stunden-Bereitschaft und steht auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn abflugbereit, doch der Einsatz erfordert einen hohen
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