Wofuer wir kaempfen
paar Platzwunden, Abschürfungen, die Ohren zeigen Brandspuren, aber alles wieder herstellbar.‹ Für mich war das Wichtigste: War Stefan noch da – oder ist sein Hirn für immer geschädigt oder sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt? Ich wollte mir einen Mann in der Vollzeitpflege mit zwei Kindern von neun und elf Jahren nicht vorstellen. Das würde ich nicht schaffen können, weil ich dazu mental nicht in der Lage wäre. Dass Stefan am Kopf keine Verletzungen hatte – eine wahnsinnig wichtige Mitteilung für mich. Ich würde Stefan also wiedererkennen und er mich. Wir würden miteinander sprechen, uns austauschen können und an unser bisheriges Leben anknüpfen. Das Wichtigste war erhalten geblieben: seine Persönlichkeit, sein Bewusstsein, sein Leben. Der Arzt fuhr fort, man könne allerdings nicht völlig sicher sein, ob wirklich alles okay sei, weil Stefan nach dem Anschlag das Bewusstsein nicht wiedererlangt hätte und nicht mehr ansprechbar
gewesen sei. Ich sackte wieder zusammen. Von der Messung der Gehirnströme her gesehen aber sei aus medizinischer Sicht ein Hirnschaden nicht sehr wahrscheinlich. Der Arzt fuhr fort: ›Am Oberkörper fehlt nichts, aber die Lunge ist explosionsgeschädigt, er muss künstlich beatmet werden, die Heilung wird dauern, aber alles ist wiederherstellbar, Arme, Hände, Finger – es fehlt nichts …‹ Ich spürte schon eine Welle der Erleichterung und dachte, dann kann ja nicht mehr so viel kommen, das ist ja alles viel besser als erwartet. ›Frau Deuschl, aber mit den Beinen, mit den Beinen schaut es schlecht aus.‹ Ich zuckte zusammen. Mir war klar, dass Stefans Verletzungen kritisch waren, wenn er eine so schwere Explosion überlebt hatte. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass Stefan bei so geringen Verletzungen am Oberkörper noch irgendwelche größeren Schäden haben sollte. Doch dann sagte der Arzt mir die volle Wahrheit.«
Erst viele Monate später hat mir Markus Eng, der Spieß von Tinos Kompanie und Freund der Familie Deuschl, erzählt, wie er diesen Moment erlebt hat. Er stand an der Rezeption zwischen unserem Konferenzraum und dem kleinen Besprechungsraum – in den Vio mit den Ärzten verschwunden war –, um notfalls helfen zu können: »Durch die geschlossene Tür hörte ich zunächst nur gedämpfte Stimmen. Es schien gut zu laufen. Doch dann hörte ich diesen Klageschrei von Vio – dieses verzweifelte ›Neeeiiiiin‹, diese Mischung aus Entsetzen, Wut und Trauer geht mir heute noch durch Mark und Bein. Du möchtest hineingehen und helfen, aber du kannst es nicht in diesem Moment. Wer soll das auffangen, wer will da irgendwie ein tröstendes Wort finden? Wenn ich mich an diesen Augenblick erinnere, habe ich auch heute noch Tränen in den Augen. Für mich war das der härteste Augenblick in dieser schweren Zeit.«
Bittere Gewissheit
Während der vielen Stunden, seit der Anschlag bekannt geworden war, hatten alle immer wieder gehofft, dass am Ende doch noch alles gut ausgehen würde. Wie ich für Tino hatte Vio für Stefan gebetet, für ihre Kinder, für ihre Familie. Jetzt waren alle Spekulationen wertlos und die Wahrheit traf uns mit voller Härte. Und so war Vio einen Moment aus dem Gleichgewicht, als ihr das ganze Ausmaß der Verletzungen von ihrem Mann klar wurde. Sie schluckte schwer, bevor sie mir weitererzählte : »Wir wussten ja nichts über die näheren Umstände des Anschlags, und so war ich überwältigt, ja fassungslos, dass bei Stefan beide Beine zerfetzt waren und gleich abgenommen werden mussten. Er war also schon ohne Beine aus Afghanistan zurückgekommen. Aber damit nicht genug: Wegen der kritischen Entwicklung der Wunden sollte gleich am nächsten Tag entschieden werden, ob noch mehr abgenommen werden müsste. Bei der Notamputation im Lazarett in Kabul hatten die Ärzte versucht, so viel vom Bein zu retten wie möglich. Eine Amputation bis unterhalb der Hüfte würde bedeuten, dass Stefan für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen würde, weil der Beinstumpf für eine Prothese zu kurz wäre. Der Arzt legte jetzt seine Hand auf meinen Unterarm und fügte noch etwas hinzu, was all dieses Klagen sofort wieder gegenstandslos machte: ›Frau Deuschl, wir müssen Ihnen offen und ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, ob wir Ihren Mann durchbekommen – erst die nächsten 76 Stunden werden entscheiden, ob er das überlebt. Es schaut leider nicht gut für ihn aus.‹ Jetzt war es heraus. Das Nächste, an das ich mich
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