Wofuer wir kaempfen
Rettung von Verletzten mit dem MedEvac ist. Die Rechnung ist relativ einfach: Eine Flugstunde kostet ca. 20 000 Euro. Bei einem Flug nach Afghanistan liegen wir da in einer Größenordnung von mindestens 250 000 Euro. Dahinter verbirgt sich
auch die Frage: Was ist ein Menschenleben wert? Das Leben eines Soldaten, der sich für seinen Staat und seine Gemeinschaft einsetzt? Eine solche Fragestellung ist in jedem Fall äußerst unethisch und unärztlich. Dafür haben wir in der Bundeswehr und in der Ärzteschaft eine klare Antwort: Das Leben eines Menschen ist unbezahlbar, und es rechtfertigt jeden Aufwand, es zu erhalten. Die Rettungskette ist damit eine ›Logistik für das Leben‹, wie es in einer Aufgabenbeschreibung des MedEvac heißt. Einer der Gründe, warum sich deutsche Soldaten zu den Einsätzen im Ausland freiwillig melden, ist die Gewissheit, dass die Bundeswehr keinen zurücklassen wird und dass wir jeden Verletzten auf höchstem medizinischen Niveau behandeln werden.
Mit der Absicht, niemanden zu verlieren, gingen wir auch in diesen Einsatz. Der Airbus sollte so kurz wie möglich am Zielflughafen Termez auf dem Boden bleiben – oder schon abflugbereit sein, wenn die Verwundeten aus Kabul ankamen. Die Verletzten, so wurde aus Kabul berichtet, waren in einem so kritischen Zustand, dass jede Verzögerung ihr Leben zusätzlich gefährdet hätte. In einem Flugzeug hat man nicht die Vollversorgung wie auf der Intensivstation eines großen Krankenhauses – es ist und bleibt eben ein Flugzeug, selbst wenn es so perfekt ausgerüstet ist wie der MedEvac. Die Vorbereitungen eines solchen Flugs sind sehr intensiv. Jedes Detail kann lebensrettend sein: Welche Vorerkrankungen bestehen? Hat der Patient Allergien auf bestimmte Medikamente, welche Blutgruppe hat er? Es wird genau abgeklärt, was an Bord ist und was wir zusätzlich anfordern müssen. Für unsere beiden Verletzten würden wir zusätzliche Blutkonserven benötigen. Es war aber weiter unklar, ob wir wirklich am Dienstagmorgen würden starten können. Die Wetterlage bedurfte noch einer genauen Klärung. Auch der Zustand der beiden Verletzten schien sich stündlich zu verschlechtern. Wir waren unsicher,
welche Nachrichten der kommende Tag bringen würde. Mit diesem beunruhigenden Gefühl endete der Montagabend. Am Dienstagmorgen stand unser Airbus abflugbereit auf dem Rollfeld. Wir hatten keine guten Nachrichten aus Kabul und noch immer keine Flugfreigabe. Der Zustand von Tino und Stefan war besorgniserregend. Es stellte sich die Frage, wie lange die beiden noch transportfähig sein würden und ob sie ausreichend Kräfte hätten, den Transport nach Deutschland zu überstehen. Die Ärzte im Einsatzlazarett im Camp Warehouse befürchteten das Schlimmste. Jetzt waren sie am Ende ihrer Möglichkeiten – die Verletzten würden nur noch in Deutschland die lebenswichtige Intensivversorgung erhalten können.
Noch in Kabul waren Tino und Stefan von einem Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten operiert worden, der ihre Trommelfelle wieder zusammengeflickt hatte. Diese OP war äußerst wichtig für den Heimflug – ein zerstörtes Trommelfell kann keinen Druckausgleich machen und würde auf immer geschädigt bleiben.
Um 8 Uhr morgens kam dann endlich die Startfreigabe. Sechs Stunden später landeten wir auf dem strategischen Luftwaffentransportstützpunkt in Termez, Usbekistan. Die Transall aus Kabul war perfekt berechnet nur knapp vor uns in Termez eingetroffen und stand bei unserer Landung mit geöffneter Heckklappe schon auf dem Flugfeld. Die ›Ongroundzeit‹, die Standzeit am Zielflughafen, muss so kurz wie möglich gehalten werden. Die Triebwerke werden nach Möglichkeit gar nicht erst abgeschaltet.
In Termez rollte unser Airbus so nahe wie möglich an die Transall mit den Verletzten heran. Stefan und Tino wurden mit einer hydraulischen Plattform durch die riesige Frachtluke viereinhalb Meter über dem Boden in den Bauch des Airbus geschoben und sofort in die Intensivbetten verlegt. Die Funktion der Beatmungsgeräte darf nicht abreißen. Der Patient verbraucht
dabei sehr viel reinen Sauerstoff. Für den Flug werden die Patienten sorgsam festgeschnallt, was wegen der Verletzungen nicht immer leicht ist. Stefan und Tino waren im künstlichen Koma, und unsere Aufgabe würde sein, dieses künstliche Koma stabil zu halten, die Schmerzen durch weitere Zugabe von Betäubungsmitteln auszuschalten, um ihnen so jede zusätzliche Belastung zu ersparen.
Den Anblick schwer
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