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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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die Lebensgefahr. Das gesamte Lagerareal war im Krieg heftig umkämpft und vermint gewesen. Trotz intensiver Suche der Minenräumer kam es immer wieder vor, dass nach Regenfällen wieder so eine gemeine Todesmaschine aus Plastik ausgeschwemmt wurde. Minen, die selbst nach Jahrzehnten noch Beine und Arme abreißen und töten können. Dann wurden die Freiflächen im Lager gesperrt und wir durften uns nur noch auf den geteerten Straßen bewegen. Unsere Welt wurde damit noch kleiner. So viel zum Regen, der in Bosnien Gestank und Gefahr für mich bedeutete. Ich saß dann in meinem Container auf der Feldpritsche und hörte Musik, schaute eine DVD – oder schrieb einen Brief an Tino.
    Dogtags – meine Verlobungsringe für Tino
    Tino ist ein extrem hübscher Mann in meinen Augen – und wenn ich Tino hübsch finde, dann fanden ihn sicher auch andere Frauen attraktiv. Wenn Tino mir dann auch noch mailte, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte, weil die einzigen Frauen im Lager von Kabul Ärztinnen und Sanitäterinnen waren, dann brachte mich das erst recht aus der Ruhe. Denn ich war im Sanitätsdienst und sah, was alles möglich war in so einem Feldlager. Dieser Gedanke verfolgte mich. Ich konnte nicht sicher einschätzen, ob ich mich wirklich auf Tino verlassen konnte, und wollte nicht, dass es mir genauso erging wie meiner Kameradin, für die ich ja eingesprungen war, weil
sie aus Liebeskummer nach Hause musste, um ihr Privatleben wieder ins Gleichgewicht zu bekommen. Aber ich hatte mir geschworen, nicht vor Ablauf der Dienstzeit nach Hause zu fahren – zumal Tino auch noch einen Monat länger in Kabul bleiben würde als ich in Bosnien.
    Ich wollte Tino etwas schenken, das ihn stets an mich erinnern sollte, etwas, das er gerne bei sich tragen würde. So ließ ich auf einem Markt in Bosnien »Dogtags« machen – das sind diese viereckigen »Hundemarken« der Soldaten mit Namen, Personenkennziffer und Blutgruppe. Dogtags sind Erkennungsmarken nachempfunden, wie sie in einigen Armeen Verwendung finden. Wenn ein Soldat im Gefecht fällt, wird der untere Teil der Erkennungsmarke abgeknickt und den Angehörigen geschickt. Der Rest bleibt bei der Leiche für die spätere Identifizierung. Ich habe Tino die Hundemarke mit meinem Namen geschickt, seine habe ich behalten – so sehen die »Verlobungsringe« unter Soldaten aus.
    Meine Lehren aus dem Lager
    In meinem Auslandseinsatz habe ich gelernt, die ganz einfachen Dinge schätzen zu lernen. Dinge, die für die Menschen in Deutschland selbstverständlich sind. Ein eigenes Badezimmer zum Beispiel, in einem geheizten Raum ohne jede Eile zu duschen – oder gar zu baden! Oder die eigene Toilette. Überhaupt ein eigenes Zimmer. Ein großes, breites Bett statt einer lausigen Feldpritsche. Der Luxus, morgens zum Bäcker zu gehen und warme Semmeln zu kaufen. In Bosnien zählte schon der Besitz einer eigenen Kaffeetasse viel. Du wirst dankbarer, und der ganze unbegreiflich große Reichtum, der einen hier in Deutschland wie selbstverständlich umgibt, wird dir fremd. Ich staune heute immer wieder, über welche Belanglosigkeiten Menschen hier in Deutschland klagen. Diese ewige Unzufriedenheit.
Wenn man zu lange warten muss an der Wursttheke oder an der Kasse. Wenn von den hundert verschiedenen Wurstsorten genau die eine nicht da ist. Ihr habt Probleme, denke ich manchmal. Eine Woche Bundeswehrlager würde diese kleinlichen Sichtweisen sehr schnell wieder ändern.
    Keine Ausbildung kann auf so ein Kriegsgebiet wie Bosnien vorbereiten. Tino ist es in Kabul nicht anders ergangen. In der Ausbildung sagen sie dir, dass du in Länder mit großer Armut kommst. Klar, das weiß man in der Theorie. Aber diese Armut liegt jenseits der eigenen Erfahrungswelt und Vorstellungskraft. Was kann man tun, wenn man auf einer Patrouille Kinder sieht, die trotz Minustemperaturen kaum Klamotten am Leib haben und halb verhungert im Müll herumwühlen? Ich hatte damals noch kein eigenes Kind, aber wir hatten einen Kameraden im Auto, der hatte zwei Söhne zu Hause im selben Alter – den hat das total mitgenommen. Diese Erlebnisse waren für mich prägend: zu wissen, wie sicher wir hier leben, was Geborgenheit in der Familie bedeutet. Die Möglichkeit, mit einer Pizza im Bett Fernsehen zu schauen oder mit einem heißen Tee ein Buch zu lesen. Wundervoll! Ganz banale Sachen, über die ich früher nie nachgedacht habe. Viele klagen immer, wie wenig sie haben, anstatt sich zu freuen, wie viel es ist. Früher

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