Wofuer wir kaempfen
die Stimme des geliebten Menschen zu hören – oder für dringende Notfälle, die keinen Aufschub dulden. Der Feldpostbrief aber ist für die Liebe und die geheimen Sehnsüchte, Träume und Wünsche, die Menschen teilen wollen.
Deswegen gab es auch einen Aufschrei der Empörung, der von
Afghanistan durch die ganze Bundeswehr bis in den Bundestag hallte, als im Januar 2011 der Skandal um geöffnete Feldpostbriefe in Mazar-i-Sharif bekannt wurde. Das Öffnen war illegal, ein Verstoß gegen das Briefgeheimnis – und nebenbei eine große Schweinerei. Später stellte sich zwar heraus, dass es nur 30 bis 40 Schreiben gewesen waren – aber da war jeder Brief einer zu viel.
In allen Armeen weiß man, wie wichtig der Kontakt der Soldaten zu seinen Angehörigen oder zur Freundin ist. Liebeskummer kann einen wahnsinnig machen. In der Bundeswehr sind es fast eine Million Briefe und mehrere Hunderttausend Päckchen, die jährlich weltweit in die Einsatzgebiete und zurück in die Heimat versendet werden. Für mich waren die Briefe damals die Rettung, ein Stück Papier, das um die halbe Welt reiste, um mich mit dem Menschen zu verbinden, den ich liebte. Wenn ich heute meine ersten Briefe aus dem August 2003 lese, dann wirken sie auf mich seltsam oberflächlich, belanglos, nach dem Motto: »Wetter gut. Essen gut. Unterkunft okay.« Wenn ich heute vergleiche, was ich damals an Tino geschrieben habe und wie intensiv ich damals an ihn gedacht habe, geben diese Briefe nicht annähernd das wieder, was ich gefühlt habe und was ich eigentlich erreichen wollte: Dass Tino sich an mich genauso intensiv erinnert. Andererseits konnte ich noch nicht über meinen Schatten springen und zu viel Gas geben, weil bei mir dann alle Dämme gebrochen wären. Und so stand ich emotional auf der Bremse. Ich wusste: Diesmal wollte ich sehr vorsichtig vorgehen. Keine Verpflichtungen. Keine Verletzungen. Ich kannte Tino ja noch nicht so genau und wollte ihm auch nicht unnötig auf die Nerven gehen, sondern herausfinden, ob er sich meldet, wenn von mir nichts kommt. Ich habe versucht, Kontakt zu halten, was gar nicht so leicht war wegen der Zeitverschiebung von mehreren Stunden, wenn wir telefonieren wollten. Bald hatte ich herausgefunden,
dass Tino eher mit dem Mountainbike die Zugspitze hochfährt, bevor er einen Brief schreibt. Das ist heute noch so. Er dreht und windet sich, es bereitet ihm Pein, wenn er vor einem leeren Blatt sitzt und etwas schreiben soll – vor allem, wenn es um Gefühle geht. Dabei ist er eigentlich einer der emotionalsten Männer, die ich je kennengelernt habe.
Ich werde jetzt mal das Briefgeheimnis freiwillig lüften und einen Einblick in das einsame Herz eines Soldaten geben, der an Schlafmangel und Liebeskummer leidet und vielen Unsicherheiten im Auslandseinsatz ausgesetzt ist, die ihm alles abverlangen. In einem meiner Briefe habe ich Tino etwas geschrieben, das meinen inneren Zustand damals sehr gut umreißt.
Mein Prinz,
mir ging es die erste Zeit genauso wie Dir. Ich habe auch oft gedacht: Warum jetzt, warum vor dem Einsatz? Kann das überhaupt halten? Kann man so lange Zeit überstehen, nach nur so kurzer Kennenlernphase? Und dann waren da so viele, die der Meinung sind, dass das nicht gut gehen kann – aber gerade deshalb weiß ich, dass das klappt. Ich war schon immer anderer Meinung als andere. Und Du bist, glaube ich, etwas ganz Besonderes. Ich hoffe das, denn ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich noch oft das Sprichwort ›Ein gebranntes Kind scheut das Feuer‹ im Kopf habe, aber diesen Gedanken verdränge ich jetzt, weil es Dir ja ähnlich geht und ich einfach will, dass es funktioniert. Und es hat bis hierher geklappt, und es wird eine wunderschöne, aufregende Zeit kommen. Darauf freue ich mich schon. Der Anfang wird ein schönes gemeinsames Weihnachtsfest werden. Denk dran: Ich bin Dein Engel und immer ganz nahe bei Dir! So, jetzt muss ich schlafen, wir haben wieder Alarmierung wegen Minengefahr durch Hochwasser, und ich bin seit 40 Stunden auf den Beinen.
Tausend liebevolle, zarte Küsse für Dich, Deine Antje
Schlafmangel – das kommt fast in jedem meiner Briefe zur Sprache. Auch den gefürchteten Minenalarm gab es häufiger. Vor allem nach starkem Regen im Sommer. Dann lag einem dieser staubige, metallische Geruch in der Nase. Eine Mischung aus Öl und Fäkalien. Ekelhaft. Den hast du nicht aus der Uniform bekommen. Dieser Regen brachte keine Abkühlung, war keine Reinigung. Zu dem Gestank kam
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