Wofuer wir kaempfen
man sich da über Nacht in den Körper gesaugt hatte. Man würgte Staubklumpen hoch. Im Lager röchelten, husteten und schnäuzten morgens alle erstmal – der verbreitete Kabul-Husten. Selbst die Afghanen halten das nicht dauerhaft aus. Die Menschen werden nicht sehr alt, und je älter sie sind, desto mehr chronische Erkrankungen haben sie. 70 Prozent aller Erkrankungen der afghanischen Bevölkerung, sagte mir ein Sanitätsoffizier, ist auf die mit Keinem gesättigte Luft zurückzuführen.
Dass ich bei diesen heilklimatisch ungünstigen Luftverhältnissen im November 2003 im Lager von Camp Warehouse das erste Mountainbikerennen in Afghanistan veranstaltet und gewonnen habe, lässt mich heute nur noch den Kopf schütteln. Aber das war schon einer der Höhepunkte bei diesem ersten Einsatz. Ich habe mir damals Kabul genau angesehen, mir das Straßennetz eingeprägt, neue Fahrtrouten ausgekundschaftet – Wissen, das ich als Personenschützer noch gut gebrauchen würde. Denn ich war mir damals schon sicher, dass es nicht bei diesem einen Einsatz bleiben würde.
Mein Dienst auf dem Flughafen war durch Routine geprägt und verlief ohne große Zwischenfälle. Eines Morgens jedoch landete eine Transall, die mich beschäftige. Aus dem Flugzeug strömten Passagiere aus Deutschland, schwarz gekleidet; wie in einem Trauerzug gingen sie langsam, mit gesenktem Kopf
und angespannt wirkenden Gesichtern an meinem Wachhäuschen vorbei. Es war ein Trauerzug mit den Angehörigen der bei dem Busanschlag, am 7. Juni 2003, getöteten und verwundeten Kameraden. Sie wollten am Ort des Geschehens einen Blumengruß niederlegen, ein Gebet sprechen, um sich von ihren toten Männern, Freunden und Söhnen zu verabschieden und anschließend an einem Gedenkgottesdienst im Lager teilnehmen. So sieht das aus, dachte ich damals noch, wenn es dich treffen würde – dann wären es deine Eltern, die hier vorbeimarschieren würden.«
Tino kehrt heim
Während Tino noch bis Weihnachten in Kabul bleiben würde, war ich im November 2003 bereits von Bosnien nach Deutsch- land zurückgekehrt. Mein Wiedersehen mit Tino konnte ich kaum erwarten. Wie es sein würde, hatte ich mir in meinen ein- samen Stunden im Feldlager Rajlovac wieder und wieder aus- gemalt und Tino nach Afghanistan geschrieben. Tino hat all diese Briefe aufbewahrt und so weiß ich, dass ich am 19. Okto- ber 2003 in meinem Wohncontainer im Feldlager Rajlovac eine Kerze angezündet hatte und auf meinem Laptop der Sound- track von Top Gun lief, als ich Tino Folgendes schrieb:
Rajlovac, 19.10. 2003
Hallo, mein Prinz!
Ich vermiss Dich schrecklich und das wird von Tag zu Tag, von Brief zu Brief, von Telefonat zu Telefonat mehr. Ich stelle mir jeden Abend vor, wie der erste Abend nach fünf Monaten ablaufen könnte. Zum Beispiel stelle ich mir vor, wie wir uns am 20.12. am Flughafen in die Arme fallen und uns mit unendlich viel Gefühl und Liebe küssen und uns eigentlich nicht mehr loslassen wollen. Dann werden wir kurz von Deinen Kameraden unterbrochen, die
sich verabschieden wollen. Wir entschließen uns dann auch, diesen kalten Ort zu verlassen, und gehen Hand in Hand bzw. Arm in Arm zu meinem Auto. Immer wieder berühren sich unsere Lippen. Ich führe Dich in meine Wohnung, wo wir uns wieder ganz fest in die Arme nehmen und küssen. Wir genießen es, uns zu spüren. Man sieht, dass Du geschafft bist und ich lass Dir Badewasser ein. Dann befreie ich Dich von Deinen Klamotten … So, mein Süßer, das war jetzt ein kleiner Ausschnitt meiner Gedanken. Ich hoffe, sie gefallen Dir. Aber bald wird alles und noch viel mehr wahr werden und ich bin wieder im siebten Himmel. Aber es ist jetzt schon spät und ich muss morgen früh raus. Ich werde diesen kleinen Ausschnitt meiner Gedanken mit in meinen Traum nehmen. Tausend Küsse und Berührungen,
Deine Antje
Ich werde hier natürlich nicht alles berichten, was ich damals aus Rajlovac nach Afghanistan an Tino geschrieben habe. Ich erzähle das nur deshalb, weil der Soldatenalltag manchmal eben anders aussieht, als durch den Schimmer einer Kerze und die Musik von Top Gun geträumt. Aber die Vorfreude war groß, mein Weihnachtsgeschenk auszupacken.
Kurz vor Weihnachten stand ich am Ziel meiner Sehnsüchte auf dem Militärflughafen Köln-Wahn. Dieser Flughafen ist ein echtes Erlebnis: Man steht unter grellem Neonlicht auf engstem Raum in Massen von Angehörigen, die auf ihre Männer und Söhne warten. Schreiende Kinder, telefonierende Frauen
Weitere Kostenlose Bücher