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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Feuerstellen mit allem, was
brennt, nicht selten mit Kuhfladen. Dazu kamen Tausende von Dieselgeneratoren, die Strom erzeugten, und schwefelhaltige Abgase aus Billigdiesel für Fahrzeuge. All das verpestete die Luft, die Stadt lag ständig unter einer Smogglocke.
    Eine Kanalisation gab es 2003 nur im Nobelviertel Wazir Akbar Khan, überall sonst werden Fäkalien direkt vor der Haustür in die offenen Straßengräben entsorgt. Ebenso der Müll, die Schlachtabfälle der auf offener Straße geschächteten Tiere – alles, was so anfällt. Bei Temperaturen um 40 Grad verdunstet alles in die Luft, vermischt sich mit dem allgegenwärtigen Staub und wird vom Wind und den Tausenden Autos zu einer Dunstglocke aufgewirbelt, die alles unter sich zu ersticken droht.
    Der Staub setzte sich überall ab – auf der Haut, auf den Autos und den Nahrungsmitteln, die überall auf den Märkten auslagen. Das Gemüse sah wunderbar frisch aus. Die Händler übergossen es immer wieder mit Wasser, um den Staub abzuwaschen. Weil es keine zentrale Wasserversorgung gab, holten sie das Wasser aus den offen liegenden Gräben, in die alles andere entsorgt wurde. Und so war auch das super frisch aussehende Gemüse voll mit Fäkalkeimen, Wurmlarven, Salmonellen – Erregern der Amöbenruhr. Wenn man schnell richtig schwer krank werden wollte, ging man am besten auf den Markt, kaufte sich Salat und machte ein Beefsteak Tartar dazu. Das konnte tödlich enden.
    Man hatte immer feuchte, schmierige Hände. Nicht vor Angst, sondern weil alles klebte, was man anfasste. Man fing an, die eigenen Hände mit ganz anderen Augen zu sehen – es waren nicht mehr die Hände, mit denen man die eigenen Kinder streicheln würde, denn sie waren übersät mit Bakterien und Viren, die unser Immunsystem in Europa gar nicht kennt. Das einzige, was half, war häufiges Händewaschen und Desinfizieren. Deshalb hatte jeder Soldat immer ein Fläschchen Desinfektionsmittel
dabei. Und so kam es zu seltsamen Szenen, wenn einem ein Afghane auf der Straße mal die Hand geschüttelt hat. Entweder hat man die Handschuhe angelassen oder aber man drehte sich möglichst diskret um, holte das Desinfektionsmittel raus und besprühte damit die Hände. Manche haben das für übertrieben gehalten und die Zeche gezahlt: In den weniger schweren Fällen tagelanger Durchfall mit Brechreiz, der die Eingeweide nach außen kehrt, und an dessen Ende manchmal noch eine Wurmkur steht. Ich hatte das mal auf der Fahrt von Kunduz nach Faizabad. Als Anerkennung, dass ich durchgehalten habe, schenkten mir die Kameraden eine Gieskanne – ein Hinweis, wie diese Art von Durchfall bei den Soldaten genannt wird: Afghanengießkanne. Die Bundeswehrärzte hatten uns streng verboten, irgendetwas zu essen, das nicht schälbar war oder roh verzehrt werden musste. In Afghanistan wird von der Bundeswehr alles eingeflogen. Selbst das Trinkwasser. Es gab da eine Geschichte im Lager von einem Einsatzteam, das bei einer Patrouille in einem Dorf sah, dass Eis verkauft wurde. Leckeres Speiseeis. Es war an einem Feiertag, Trauben von Kindern standen um den Eismann und schleckten ihre Portion. Daneben Erwachsene, die ihren Kindern und sich selbst offensichtlich eine besondere Freude gemacht hatten. Es war Sommer, die Hitze flimmerte über dem Sand der Straße. Die Eisbehälter sahen sauber aus. Ein leckeres Eis bei über 40 Grad im Schatten kann auch für Soldaten eine große Versuchung sein. Die Männer wollten ein Zeichen der Entspannung setzen, ihr braucht keine Angst vor uns zu haben – wir sind hier, um euch zu beschützen. Soldaten, die Eis essen, schießen nicht. Also spendierte der Teamführer seinen Soldaten und den Kindern ringsherum ein Eis. Stunden später lagen die Soldaten auf der Intensivstation des Feldlazaretts und waren in Lebensgefahr. Für diese Soldaten war der Einsatz zu Ende.
    Kabul war Staub und Gestank. Die Fäkalkeime waren in der
Luft, sie legten sich wie ein Schleier auf alles, was man anfasste. Tagsüber war es heiß und es staubte. Nachts war es saukalt und es staubte. Kaum Niederschlag, selbst im Winter. Aber immer Staub, brauner, fieser Staub. Wenn man morgens aufwachte, hatte man so etwas wie einen Wollteppich im Rachen – Staub hatte sich in der Nacht in jede Pore gezwängt, die Ohren ausgefüllt, die Nasenlöcher verschorft, bis man im Schlaf schließlich durch den offenen Mund atmete. Nase putzen. Ohren putzen. Alles schwarz im Taschentuch. Und es ekelte einen, weil man genau wusste, was

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