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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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dachte ich: 400 Euro sind wenig – in Bosnien habe ich erlebt, dass man mit 400 Euro reich ist. 400 Euro bedeuten Holz und Ziegel für das zerstörte Dach, Ersatz für die zerstörten Fenster, die verbrannten Möbel. 400 Euro bedeuten Zukunft. Mein Verhältnis zum Geld hat sich während meines Auslandseinsatzes komplett geändert. Ich habe aufgehört, irgendetwas in meinem Leben als selbstverständlich anzusehen. Alles hat seinen Wert. Einen Wert, der sich nicht allein in Euro messen lässt.
    Frieden ist ein so wundervolles Geschenk. Wenn ich am Sonntagmorgen alleine durch Murnau laufe und sich die Landschaft
vor mir ausbreitet, ist das eine einzige Einladung, zufrieden zu sein mit sich und dem Leben. Das sind die Gefühle, die mich immer wieder stark gemacht haben, wenn ich nach dem Anschlag nicht mehr wusste, wie es weitergeht.

Leben auf Abruf – Tinos Einsätze in Afghanistan
    Nachdem ich einiges über meine Zeit im Lager in Rajlovac berichtet habe, soll Tino selbst über seine Einsätze in Afghanistan erzählen: »Drei Einsätze hatte ich in Afghanistan. 2003, 2004 und 2005. Es hat sich viel verändert in dem Land während dieser Zeit – zum Guten wie zum Schlechten. Beim ersten Einsatz in Kabul hat mich meine Einheit noch in einem ungepanzerten VW-Bus vom Flughafen abgeholt – beim dritten Einsatz in einem Fuchs-Panzerwagen mit Schießscharten, geschützt durch zwei Zentimeter gehärteten Stahl – und zurück kam ich schwer verletzt mit einem Lazarett-Airbus der Bundeswehr.
    Das erste, was ich durch das Fenster einer Transall, die uns vom Luftwaffentransportstützpunkt der Bundeswehr im usbekischen Termez nach Kabul geflogen hat, von Afghanistan sah, war eine riesige Landschaft aus Staub, ockerfarben, sandfarben, grau in grau – aber nirgendwo Grün. Dazu endlose, von der Sonne ausgeblichene Hügelketten, die sich nach Osten zu schneebedeckten Gebirgen auftürmten – der Hindukusch mit Gipfeln von über 7000 Metern Höhe, doppelt so hoch wie die Zugspitze. Dann sackte die Transall durch und landete auf dem holperigen Rollfeld auf dem Kabul International Airport, meinem Arbeitsplatz für die nächsten Monate. Mit 3000 Flugbewegungen pro Jahr vergleichbar mit dem Flughafen von Hannover – für Afghanistan ist er das Tor zur Welt, und ich sollte es bewachen. Als sich die Ladeklappe der Transall geöffnet hatte, atmete ich sandige Luft, die nach verbrannten Kuhfladen stank und wie Rost schmeckte. Neben dem Flugfeld zerborstene Flugzeugwracks und zwei zerschossene Helikopter – die Hinterlassenschaft der sowjetischen Besatzer. Der Flugplatz war während der Machtübernahme durch die Taliban Schauplatz
erbitterter Kämpfe gewesen. Überall waren zerstörte Gebäude zu sehen und hinter Sandsackbarrikaden und Stacheldraht braungebrannte Wachsoldaten, meine Kameraden. Das war mein erster Eindruck von Afghanistan.
    Als drei Monate zuvor mein damaliger Kompaniechef eines Morgens zu mir sagte: ›Feldwebel Käßner, Sie gehen nach Kabul!‹, kam mir das gerade recht. 2003 lief gerade mein Antrag für die Übernahme vom Z12-Zeitsoldaten zum Berufssoldaten. Ich war entschlossen, bei der Bundeswehr zu bleiben – da gehört der Auslandseinsatz mit dazu. Ich habe mich aktiv und mit voller Überzeugung für das Berufssoldatentum entschieden.
    Mit einem olivfarbenen VW-Bus der Bundeswehr – zwei Millimeter dünnes Blech und große Panoramascheiben – ging es vom Flughafen ins Camp Warehouse, dem Deutschen ISAF-Hauptquartier. Auf dieser Fahrt erlebte ich zum ersten Mal den chaotischen Verkehr in Kabul, eine einzige Abfolge von Beinahe-Zusammenstößen, Brems- und Ausweichmanövern. Ich hatte beim Fahrtraining für den Personenschutz einiges erlebt, das aber überstieg meine Vorstellungskraft bei Weitem. Erst Tage später begriff ich, dass auch die Afghanen in diesem Chaos durchaus umsichtig fahren und jeden Crash vermeiden, weil sie ein großes Interesse daran haben, dass ihr Auto heil bleibt. Denn auch in Kabul sind Reparaturen teuer. Aber sie testen deinen Mut.
    Noch viel unglaublicher als das permanente Verkehrschaos auf den Straßen der Stadt aber waren Staub und Gestank in Kabul. Vor dem Beginn des Krieges 1973 lebten in Kabul, den bis zu den jahrzehntelangen Kriegswirren einst blühenden ›Garten Afghanistans‹, nur 750 000 Menschen – dreißig Jahre später, 2003, waren es schon drei Millionen Einwohner, und fast eine Million Autos fuhren durch die Stadt. Der Hauptteil der Bevölkerung kochte auf offenen

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