Wofuer wir kaempfen
Grußassistentin Gabi ein Stück Heimat in den Einsatz bringen« konnten mit Musikwünschen und Geburtstagsgrüßen von daheim. Das lief morgens überall im Lager. Radio Andernach hat die gleiche Funktion wie Radio Norddeich für Seefahrer – Andernach war eben nur für Soldaten der KFOR, EUFOR und ISAF – alles per Satellit, rund um die Welt. Zum Programmstart kam bei uns aus dem Radio sachlich deutsch: »Guten Morgen, Sarajevo« – aber viel, viel langweiliger gesprochen als im Kinofilm Good Morning, Vietnam , in dem Robin Williams, der den AFN-Moderator Adrian Cronauer darstellt, seine Sendung jeden Morgen mit einem lang gedehnten Schrei beginnt: »Goooooood Moooorning, Vietnaaaaaam! «
So einen Weckruf hätte ich damals gebraucht. Aufpeitschend, aufrüttelnd, einem Schlachtruf gleich. Denn mein Körper war im Krieg mit sich selbst und gegen den fehlenden Schlaf, von dem er nie genug bekam. Die Ausnahme war Alarm: Dann ist man binnen Sekunden am Start. Die Erschöpfung nach dem Alarm aber ist noch fieser – weil der Körper nochmals die letzten Reserven mobilisert.
Nach ein paar Wochen Lager passiert dann etwas Seltsames: Man gewöhnt sich so an den Lärm, dass man regelrecht süchtig danach werden kann. Wie süchtig, habe ich erst nach meiner Rückkehr in mein einsames Waldappartement bei Bonn erfahren, das ich danach umgehend aufgeben wollte, um mir an irgendeiner Ausfallstraße mit Autobahnzubringer und Flughafenanschluss etwas Neues, Lautes zu suchen.
Ich hatte in meinem Leben bisher immer nur eine Handvoll Freunde gehabt und auch sehr viel allein unternommen. Hier in Bosnien wurde man zwangsweise Teil einer großen Gemeinschaft – ob man wollte oder nicht. Es gab kein Entkommen. In so einem großen Lager ist immer irgendeiner, der einen anspricht und auf den man reagieren muss. Man hat gar keine Chance, allein zu sein. Keine Sekunde. Und irgendwann ist man danach süchtig, dass viele Menschen um einen sind und ständig Lärm herrscht.
Isolation und Sehnsüchte
Wer keine Angehörigen bei der Bundeswehr hat, weiß nicht, wie die Soldaten im Ausland leben. Darüber gibt es keine Soaps, keine Dokumentationen; es scheint auch niemanden zu interessieren. Und wenn mal einer eine Talkshow macht aus Afghanistan, mit einem Verteidigungsminister, der auch noch seine Frau mitgebracht hat, dann ist die Empörung groß. Jeder sollte sich klarmachen, dass man während des Einsatzes das
Lager fast nie verlassen kann, weil es zu gefährlich wäre. Da freut man sich über jedes Lebenszeichen aus der Heimat – und sei es nur das aktuelle Fernsehprogramm.
Mein ganzes Leben spielte sich auf diesem ein paar Tausend Quadratmeter großen Areal eines ehemaligen jugoslawischen Luftwaffenstützpunkts ab – wenn man es genau nimmt, war es eigentlich wie im Knast. Uniformen. Umzäunung. Bewaffnete Wachposten. Scheinwerfer. Spürhunde. Viele Soldaten im Innendienst sind während der Monate ihres Einsatzes nie aus dem Lager gekommen – sie haben vom Land nichts gesehen. Es ist sehr tragisch, dass ausgerechnet Soldaten, die den Frieden überwachen sollen, so wenig Kontakt zur Zivilbevölkerung bekommen.
Wenn ich mal dienstfrei hatte, habe ich mich einfach in mein Bett zurückgezogen. Wenn ich nicht geschlafen habe, habe ich meinen Laptop aufgeklappt, DVDs geschaut oder Musik gehört. Im Lager konnte man nicht viel anderes machen. Man ist entweder zum Sport in die Muckibude oder ins Solarium gegangen oder rüber ins »Sun Valley« – so hieß die offizielle Betreuungseinrichtung der Sanitäter. Klingt nach psychosozialem Beratungsdienst, und irgendwie war es das auch – in Form einer Kneipe. Rustikale Holztheke, rustikale Heiterkeit – Partykellerambiente mit dem entsprechenden Kitsch und dem Dosenbier. Hier traf man sich und konnte Dampf ablassen. Samstags war immer Party. Für einige war dann Alkohol angesagt. Manchmal kam es vor, dass Soldaten aus dem Sun Valley direkt in die Notaufnahme getragen wurden, weil sie sich komplett »weggebeamt« hatten, um den Stress und die vielen unverarbeiteten Erlebnisse loszuwerden. Diese Soldaten wurden nach solchen Exzessen meist auch schnell abgelöst. Es waren Menschen, die mit diesem Dauerstress nicht zurechtgekommen sind. Das Lager macht krank, wenn du nicht stark genug bist.
Man gibt sehr viel von sich her als Soldat im Auslandseinsatz. Und das ist nicht nur der Verzicht auf jede Privatsphäre. Der psychische Druck ist enorm. Gerade als Frau in so einer Männergesellschaft ist
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