Wogen der Liebe
er im Vollbesitz seiner Kräfte, regierte sein Reich mit harter Hand und hielt sich an den Ehrenkodex. Als Gunnardvigas Vater Eirik noch lebte, hatte dieser ihre Ehe mit Thoralf Björgolfsson ausgehandelt. Ragnvald fühlte sich an das Versprechen gebunden und übersah geflissentlich Hoskulds halbherzige Avancen. Einmal hatte er ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er an dem Eheversprechen mit Thoralf nichts ändern würde, auch um Björgolf Einbein nicht zu entehren. Danach hatte sich Hoskuld zurückgehalten und seine Anstrengungen über seinen Freund Sven und Asgeir verstärkt. Ragnvald hatte davon nichts mitbekommen. Mehr als einmal hatte Asgeir Gunnardviga einzureden versucht, dass Hoskuld der bessere Ehemann für sie wäre, würde er doch einmal Bleytagarðr übernehmen, wenn Ragnvald nicht mehr lebte. Aber das konnte noch dauern. Ragnvald war reich, aber auch Björgolf war reich. Ständig kehrte Thoralf mit neuen Schätzen von seinen Beutezügen zurück. Zudem war Björgolf alt und kränklich. Der Machtwechsel würde in nicht allzu ferner Zukunft liegen.
Hoskuld war kein strahlender Held, er sah nicht annähernd so gut aus wie Thoralf. Da war Thoralf ein ganz anderer Kerl. Zum einen war er der wilde und todesmutige Wikinger, der über das gefährliche Meer segelte und mit Schätzen beladen heimkehrte. Zum anderen konnte er ein stolzer und herrschsüchtiger Mann sein, willensstark und mit wachem Geist ausgestattet, der sich von niemandem etwas vormachen ließ. Auch wenn er in Gunnardvigas Nähe weich wie das Wachs in den Bienenstöcken werden konnte, so spürte sie doch, dass sie ihn nicht so um den Finger wickeln konnte wie ihre dicken Zöpfe. Doch sie wollte selbst herrschen, dazu brauchte sie keinen starken Mann. Lange hatte sie hin und her überlegt, ob sie die Verlobung mit Thoralf lösen sollte. Doch das hätte zu einem Krieg geführt. Björgolf Einbein hätte sich für diese Entehrung gerächt. Außerdem hätte Ragnvald diesem Schritt niemals zugestimmt.
Asgeir hatte angedeutet, dass es ihr die Wahl wohl etwas erleichtern würde, wenn Thoralf all seine Schätze verlöre. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie das gelingen sollte. Ein Überfall auf Skollhaugen war unmöglich. Doch eines war auch sicher: Einen verarmten Thoralf würde sie nicht heiraten.
Sie musste zugeben, das hatte sie Hoskuld nicht zugetraut. Es war eine kluge List, die Abwesenheit der Bewohner Skollhaugens zu diesem Überfall zu nutzen. Es schien alles reibungslos zu verlaufen. Hoskulds Leute hatten Skollhaugen überfallen, die wenigen Wachen überrannt und getötet, dann das Vieh hinausgetrieben, die Schätze und Vorräte aus den Lagerhäusern gleich auf die Ochsenkarren geladen und dann das Gehöft niedergebrannt.
Als die schwarze Rauchsäule in den winterlichen Himmel stieg, bemerkten auch die Teilnehmer an der Opferung im Moor, was geschehen war.
Im Moor hatte eine grausame Schlacht stattgefunden. Zunächst saß Fürst Ragnvald wie erstarrt auf seinem Pferd. Von dieser Intrige hatte er keine Ahnung gehabt. Zumindest hatte er nicht geglaubt, dass sein Sohn Hoskuld sie tatsächlich geschmiedet hatte. Doch als Hoskuld Björgolf mit dem Speer durchbohrte, arbeitete sein Verstand blitzschnell und präzise. Ihm wäre niemals eingefallen, Björgolf zu überfallen und zu berauben. Doch es war zu spät, um sich aus diesem feigen Verrat zurückzuziehen. So trat er die Flucht nach vorn an.
»Sind es unsere Männer in Skollhaugen?«, wollte er von seinem Sohn wissen.
»Natürlich«, erwiderte dieser und schlug mit seiner Axt auf Björgolfs Männer ein. »Mach dir keine Sorgen, es bleiben keine Zeugen übrig. Mit der Handvoll Knechte in der Burg werden sie spielend fertig, und hier darf niemand entkommen. Dann holen wir uns die Schätze, die Björgolf gehortet hat.«
Dazu hatte Ragnvald nichts mehr zu sagen. Er hätte ohnehin nichts mehr ändern können. Trotzdem zitterte er vor ohnmächtiger Wut. Er konnte und wollte nicht akzeptieren, dass sein Sohn etwas hinter seinem Rücken getan hatte. Er fühlte sich übergangen, in seiner Macht beschnitten, lächerlich gemacht. So zeigte er gute Miene zum bösen Spiel, riss die Führung des Kampfes an sich und sorgte dafür, dass alle Menschen von Skollhaugen entweder getötet oder gefangen wurden. Es durfte keine Zeugen für diesen Verrat geben.
Im Durcheinander der Schlacht war er sich allerdings nicht sicher, ob es wirklich keine Flüchtigen gegeben hatte. Viele waren in ihrer panischen
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