Wogen der Liebe
Kraft.«
»Wozu?«
»Komm zurück.«
»Nach Skollhaugen? Gibt es das noch?«
»Nicht wirklich. Hoskulds Männer haben ganze Arbeit geleistet. Alles ist niedergebrannt.«
»Wie konntet ihr überleben?«
»Das erzähle ich dir später. Komm endlich, hier will ich keinen Augenblick länger bleiben.«
»Das geht nicht, es wird bald dunkel. Wir können nicht in der Nacht laufen. Ringsum lauern Wölfe.«
»Die fürchte ich nicht so sehr wie die Geister aus der Unterwelt.« Raudaborsti rührte sich nicht von der Stelle.
Viviane versuchte, die Kleine zu überreden. »Drinnen brennt ständig ein Feuer. Das hält Geister wie Wölfe fern.«
»Trotzdem. Wir nehmen Fackeln mit.«
»Warte! Noch einmal laufe ich nicht so einfach davon«, erwiderte Viviane. »Ich bin eine Gesetzlose, eine geflohene Verurteilte. Wenn mich einer von Ragnvalds Leuten erwischt … Außerdem habe ich hier einen Unterschlupf, Feuer, manchmal auch etwas zu essen.«
»Es ist nicht gut, mit Geistern zu leben. Davon wird man verrückt im Kopf.« Raudaborsti tippte sich an die Stirn. »Als Yngvar erzählte, wo du vielleicht zu finden wärst, habe ich mich auf den Weg gemacht. Du musst zurückkommen.«
»Du weißt doch, warum ich nicht zurückkehren kann.«
Raudaborsti trat von einem Fuß auf den anderen. »Dalla und Halveig sind nicht mehr da, auch fast alle anderen Leute von Skollhaugen sind wohl tot. Nur Astrid kam zurück, gemeinsam mit zwei Mägden und einem alten Knecht. Sie erzählten von dem furchtbaren Gemetzel im Moor.«
»Wie konntet ihr den Überfall überleben?«
»Als Hoskulds Leute angriffen, haben die wenigen Wachen natürlich versucht, sie abzuwehren. Sie hatten keine Chance, aber es gab uns etwas Zeit, uns zu verstecken. Truud hat Yngvar aus dem Haupthaus herausgetragen und in den Brunnen hinabgelassen. Dort konnte ihm das Feuer nichts anhaben.«
»Und du?«
»Ich habe mich in den Misthaufen eingegraben. An dem hatten sie kein Interesse. Alles andere aber ist fort, geraubt oder niedergebrannt.«
»Dort kann man doch nicht mehr wohnen. Wohin seid ihr denn geflüchtet?«
»Nirgendwohin. Wir leben jetzt in der Höhle, wo wir die Äpfel versteckt haben. Wir wollen nicht so weit von Skollhaugen weg. Yngvar kann kaum gehen, außerdem würden wir Gefahr laufen, Hoskulds Leuten aufzufallen. Nach Skollhaugen kommen sie nicht mehr, es ist ja nichts zu holen. Sie denken, wir sind alle tot.«
»Wo habt ihr denn das Brot her?«
»Wir haben aus den Trümmern verbranntes Getreide aufgelesen. Es war nicht viel, aber es hat uns einige Tage überleben lassen. Der Mahlstein ist nicht verbrannt, auch haben uns einige unserer ehemaligen Bauern heimlich etwas zu essen gegeben. Ich bin nachts zu ihren Höfen geschlichen. Sie gehören jetzt zu Ragnvald, müssen ihm Abgaben leisten, aber sie helfen uns trotzdem. Wir alle hoffen, dass Thoralf bald wieder zurückkommt und mit seinen Männern diesen feigen Überfall rächt.«
»Ich weiß, dass Thoralf bald zurückkommt. Nur diese Hoffnung hat mich am Leben erhalten«, flüsterte Viviane.
Mitleidig blickte Raudaborsti sie an. »Du hast ihn sehr lieb, nicht wahr?«
Viviane nickte stumm.
»Er kommt wieder zurück, da sind wir alle ganz sicher. Und dann …«, sie boxte sich mit der Faust in die Handfläche, »… zeigen wir es diesem Hoskuld und Ragnvald und dem hässlichen Asgeir.«
»Und Gunnardviga?«
»Pah, die hat sich von Thoralf längst abgewendet. Sonst hätte sie den Überfall doch verhindert. Auf den Höfen flüstert man, dass sie Hoskuld heiraten wird.«
Viviane hockte sich in den Schnee und biss in den Brotfladen. Es schmeckte verbrannt, süßlich, und der Abrieb des Mahlsteins knirschte zwischen ihren Zähnen. Aber es war Brot.
»Astrid wird mich nicht wieder aufnehmen«, sagte sie kauend. »Sie wollte doch auch, dass ich verurteilt werde.«
»Sie hat es längst bereut, und es tut ihr schrecklich leid«, erwiderte Raudaborsti. »Yngvar hat ihr alles erzählt.«
»Ja, er war der Einzige, der mir geglaubt hat. Und du. Leider hat alles nichts genützt. Skollhaugen ist zerstört. Selbst wenn Thoralf wiederkommt, wird er nichts ausrichten können. Seine Leute müssen nun Fürst Ragnvald folgen.«
»Das wird Thoralf nicht zulassen. Er wird dem verräterischen Ragnvald das Gesicht zu Brei schlagen.«
»Ach, Raudaborsti, du bist so lieb und willst mir Mut machen. Aber das kann er nicht schaffen. Das Beste wird sein, wir alle gehen auf sein Schiff und fahren mit ihm
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