Wogen der Liebe
Thoralf mit seinen Männern kam.«
Er lächelte überlegen. »Sicher nicht. Du hast deinem Vater gehört, und er hätte dich in die Hände eines Ehemannes gegeben.«
Sie schwieg wieder. Wahrscheinlich wäre es so gekommen, wenn er nicht bei dem Überfall getötet worden wäre. Und nun hockte Käre neben ihr und vergrößerte die Probleme noch. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Thoralf entdeckte, dass sie Käre half. Wieso sollte sie ihm überhaupt helfen? Er war der Feind ihres Feindes, doch war er deshalb ihr Freund?
Sie hockten dicht beieinander, im Schatten des Stoffballens. Sie roch seinen Geruch, spürte sein struppiges Haar an ihrer Wange. Nach einer Weile vernahm sie seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge. Käre war eingeschlafen.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sollte sie ihn verraten? Es wäre sein sicherer Tod. Versorgte sie ihn heimlich mit Essen, würde Thoralf sie dafür bestrafen. Vielleicht mit dem Tod. Aber sie hätte ein gutes Werk getan. Oder?
Sie war sich nicht sicher. Ihr ganzes bisheriges Weltbild wurde von diesen Wikingern auf den Kopf gestellt. Ihre Ansichten von Ehre, Leben, Tod und Anstand waren Viviane fremd. Vielleicht lag es daran, dass sie einen anderen Gott anbeteten.
Käres Kopf sank langsam herab, bis er auf Vivianes Schulter lag. Sie wagte sich nicht zu rühren. Mit einer Hand zog sie vorsichtig Leinenstoff aus dem aufgeschlitzten Ballen und deckte Käre damit zu.
Die ganze Nacht über bewegte Viviane sich nicht, um Käre nicht zu stören. Sie spürte seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge, roch diese Mischung aus Schweiß, Salzwasser und einem nicht zu definierenden Duft, den sie einfach Käre nannte. Er konnte kein schlechter Mensch sein, obwohl er doch ihr Schiff überfallen hatte. Sie wusste es nicht und wollte auch nicht drüber nachdenken. Käre war in Not, und wer in Not war, dem musste geholfen werden.
Mit der Zeit genoss sie die körperliche Nähe, die ihr bislang unbekannt war. Sie horchte in sich hinein, spürte das leichte Kribbeln, als würde sie auf einer hohen Felsklippe stehen.
Noch nie war sie einem Mann auf diese Weise so nahe gekommen. Sie kannte Käre nicht. War es immer so, wenn man einem Mann nahe kam? Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie dieses Kribbeln bereits einmal gespürt, als Thoralf sie zu sich herangezogen hatte. Das war nur kurz gewesen, viel zu kurz, als dass sie es wirklich verstanden hätte. Was war das?
Sie lehnte ihre Wange gegen Käres Schopf. Es wurde gänzlich dunkel. Die Augen fielen ihr zu. In dem Schattenreich zwischen Wachsein und Schlaf sah sie plötzlich ein anderes Gesicht neben sich. Es ähnelte dem von Thoralf, doch er war es nicht. Er war einfach – ein Mann.
Als der Morgen graute, kroch Viviane vorsichtig aus ihrem Versteck hervor. Es war kalt und neblig. Sie reckte sich und versuchte, ihren abgestorbenen Gliedern wieder Leben einzuhauchen. Langsam ging sie zum Achterdeck, wo das Wasserfass stand. Einer von Thoralfs Männern hatte einen übel anzusehenden Brei aus Bier und Gerstenschrot zusammengerührt. Dazu gab es hartes Brot und getrockneten Fisch.
Viviane half eifrig, die Schüsseln auszuteilen. Gierig schlürften die Ruderer den Brei. Die Nacht hatten sie auf den Ruderbänken verbracht und bewegten nun stöhnend ihre steifen Gelenke. Viviane hoffte nur, dass der vierschrötige Alte, der das Essen ausgab, nicht zählen konnte. Sie eilte so schnell hin und her, dass er tatsächlich die Übersicht verlor.
»Noch eine Schüssel, es haben noch nicht alle«, forderte sie ihn auf.
Mürrisch schaufelte er eine weitere Schüssel voll, um sich dann selbst zu bedienen. Viviane griff nach Brot und Trockenfisch und setzte sich vor den Ballen. Käres Portion hatte sie bereits heimlich unter den Stoff geschoben. Der Geruch der kalten Biersuppe würde ihn schon wecken.
Während sie aß, beobachtete sie Thoralf. Doch der hatte vollauf damit zu tun, dass das Schiff wieder in Fahrt kam. Er trieb seine Männer an, die Segel zu hissen, die Ruder zu heben und das Schiff in den Wind zu bringen. Rufe zu und von den beiden anderen Schiffen des Konvois hallten übers Meer. Zum Glück kümmerte sich niemand um Viviane. Vorsichtig lugte sie ins Versteck. Käre bewegte sich nicht, doch die Schüssel stand leer neben ihm. Sie lächelte erleichtert.
Mit angezogenen Knien blieb sie vor dem Versteck sitzen. Sie wollte die Aufmerksamkeit von dem Stoffballen ablenken. Doch auch um die Ladung kümmerte sich
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