Wogen der Liebe
weit davon entfernt waren. Die Wikinger scheuten das offene Meer. Viviane vermutete, dass sie sich allein am Verlauf der Küste orientierten.
Der Schreck über die Erlebnisse in Ribe saß ihr noch in den Knochen. Sie hielt die Knie angezogen und stützte das Kinn darauf. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was die Zukunft bringen mochte. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand. Sie wusste nur, es würde furchtbar werden.
Wieder warf sie einen verstohlenen Blick zu Thoralf. Seit sie an Bord war, beachtete er sie nicht mehr. In Ribe hatte er mehrere neue Männer angeheuert. Die hockten nun mit stumpfen Gesichtern auf den Ruderbänken. Gleichmäßig tauchten die Ruderblätter ins Wasser. Der Wellengang schien keinen der Männer zu stören. Viviane atmete tief durch und versuchte, gegen die plötzlich aufkommende Übelkeit anzukämpfen.
Das Schiff lag tiefer im Wasser, die Ladung wog schwer. Sie kamen nur langsam vorwärts. Zudem versuchten die drei Schiffe, Sichtkontakt zu halten. Die Zeit verging in lähmender Eintönigkeit. Viviane hatte keine Ahnung, wohin sie fuhren. Wahrscheinlich ins Land der Wikinger, wohin sie die Beute bringen wollten. Sie hatte keine Vorstellung, wie dieses Land aussah, wo es lag. Vielleicht gab es dort solche Städte voller lärmender Menschen wie Ribe. Oder felsige Gestade wie auf ihrer Insel. Oder ewiges Eis, wovon die Seefahrer erzählten.
Der Wind flaute ab, eine unheimliche Stille lag über ihnen. Rufe drangen von den anderen Schiffen herüber. Der Nebel verdichtete sich, die beiden anderen Schiffe waren nur noch schemenhaft zu erkennen. Plötzlich erklang ein Signalhorn, hohl und unheimlich.
Thoralf rief seinen Ruderern einen Befehl zu. Die hoben sofort die Ruderstangen hoch. Das Schiff verlor an Fahrt. Ein anderes Schiff näherte sich ihnen durch den Nebel. Vivianes Atem stockte. Wieso kam das Schiff so nahe? Sah der Steuermann nicht, dass er sie gleich rammen würde?
In diesem Augenblick erhob sich ein wüstes Geschrei. Von dem anderen Schiff sprangen Männer mit gezogenen Schwertern, Äxten und Messern zu ihnen herüber. Thoralf zog sein Schwert. Auch die Ruderer griffen zu ihren Äxten, die unter den Ruderbänken verstaut lagen. Im Nu entwickelte sich ein wüstes Gemetzel, Blut spritzte, die Männer schrien, Metall klirrte auf Metall. Erst jetzt begriff Viviane, dass sie von einem anderen Schiff überfallen worden waren. Die fremden Männer trugen aber die gleiche Kleidung und auch die gleichen Waffen wie Thoralfs Männer. Ob sie auch Wikinger waren?
Viviane konnte nicht erkennen, wer zu wem gehörte. Egal, sie alle waren ihre Feinde. Sie verkroch sich hinter Ballen und Körben. Mit bebenden Lippen betete sie, dass niemand sie entdeckte. Die Angst wühlte in ihren Eingeweiden.
Auf dem Schiff tobte der Kampf. Thoralfs Leute wehrten sich erbittert gegen die Angreifer. Mehrere Tote lagen auf dem Deck, die Schreie der Verwundeten mischten sich in den Schlachtenlärm. Viviane presste die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zu, als könne sie alles damit ungeschehen machen.
Die Übermacht war groß. Schon wurde die erste Beute auf das feindliche Schiff umgeladen. Jemand packte den Korb, hinter dem sich Viviane versteckt hatte. Schützend hob sie die Arme über ihren Kopf.
»He, was haben wir denn hier?« Eine kräftige Hand packte sie und zerrte sie aus ihrem Versteck.
Der Mann mit dem roten Bart und einem Helm, den zwei Stierhörner zierten, betrachtete sie abschätzend, als überlegte er, ob er sie behalten oder über Bord werfen sollte. Entsetzt blickte Viviane auf die drohend erhobene Axt in seiner anderen Hand. Blut tropfte von ihr herab. Viviane war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ein Schlag, und sie wäre tot.
Niemand kam ihr zu Hilfe. Thoralfs Männer hatten genug damit zu tun, sich selbst zu verteidigen. In ihrer Verzweiflung biss sie dem Räuber in die Hand. Mit einem Aufschrei stieß er sie von sich. Viviane taumelte gegen die Bordwand. Einen Moment versuchte sie sich festzuhalten, doch dann verlor sie das Gleichgewicht und stürzte ins Wasser. Eisig nahm das Meer sie in Empfang, presste ihr den Brustkorb zusammen. Nach dem ersten Schreck strampelte sie mit den Beinen, ruderte mit den Armen und gelangte wieder an die Oberfläche. Dunkel erhob sich vor ihr die Bordwand des Schiffes. Sie konnte nicht schwimmen. Immer wieder wurde sie unter Wasser gezogen. Sie schluckte, prustete, hustete, Wellen schlugen ihr ins Gesicht. Neben ihr fiel eine Leiche ins
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