Wogen der Liebe
entsetzlich.«
Die Kleine zuckte mit den Schultern. »Es war Gunnardvigas Gier, so viele schöne Pelze zu besitzen. Allerdings hat Eirik auch viele verkauft. Doch seit er tot ist, geht es mit dem Reichtum seiner Sippe abwärts. Die Mutter starb bald darauf an Gram, und Asgeir ist ein Nichtsnutz. Er fährt nicht auf Víking, kann nicht mal die Felder bestellen. Gunnardviga kümmert sich um die Ländereien und die Viehherden. Aber es macht ihr keinen Spaß, sie will lieber eine Fürstin sein. Jarl Ragnvald ist ihr Oheim, sie ist sein Mündel, und er kümmert sich um sie, bis sie verheiratet ist. Er weiß, dass sie Thoralf versprochen ist. In diesem Jahr wird es eine große Hochzeitsfeier geben. Den genauen Tag legen die Priester fest, wenn Odin im Moor geopfert wurde.«
Viviane schwieg und hing ihren Gedanken nach. Das Leben hier war so verschieden von dem, das sie in der Gemeinschaft ihres Dorfes verbracht hatte. Die fremden Sitten und Gebräuche ängstigten sie, für diese blutrünstigen Götter empfand sie nur Abscheu.
»Möchtest du nicht weg von hier?«
Raudaborsti blickte sie fragend an. »Wohin denn? Nein, nein, mir geht es gut. Ich bin froh, hier zu sein. Du nicht?«
Viviane schüttelte den Kopf. »Am liebsten würde ich sofort flüchten.«
»Und wohin?«
Ja, wohin? Wollte sie wirklich noch weg? Raudaborsti hatte recht, so schlecht ging es ihr hier wirklich nicht. Sie sollte sich mit ihrem Schicksal abfinden. Doch ihre innere Unruhe ließ sich nicht besänftigen.
Ein Schatten fiel auf sie. Die beiden hoben die Köpfe. Thoralf stand vor der Hütte und schaute ihnen zu. Viviane erschrak. Hoffentlich hatte er ihre Worte nicht vernommen.
»Kleine Füchsin, hast du ein Schaf gerissen?«
»Wie könnte ich, wo das Schaf doch schon tot war«, erwiderte sie.
Thoralf lachte auf. »Ich sehe, dir geht es gut, das freut mich. Wenn du auch so geschickt beim Spinnen und Weben bist, dann bekommst du eine besondere Aufgabe von mir.«
Verwundert blickte Viviane ihn an. Er hockte sich vor sie hin, sie waren nur durch ein kleines Häufchen Wolle getrennt. Thoralf erwiderte den Blick, lange und intensiv. Viviane spürte, wie sie errötete.
»Deine Augen …« Er senkte die Stimme. »Dieses wunderbare Grün, ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich will einen Mantel tragen aus fein gesponnener Wolle, gewebt in farbigen Streifen aus dem Grün deiner Augen, aus dem Rot deines Haares und aus dem Weiß deiner Haut.«
Viviane blieb vor Überraschung der Mund offen stehen, und ihre Stimme versagte. »Aber … aber …«, stammelte sie verwirrt.
»Ich weiß, niemand kann sagen, womit man die Wolle einfärben muss, um dieses Grün zu erhalten. Aber du wirst es herausfinden.« Er zwinkerte ihr belustigt zu. »Du bist klug und flink und besitzt eine gute Beobachtungsgabe. Finde das Mittel, und wenn du die Götter fragen musst, woraus sie deine Augen geschaffen haben.«
Er erhob sich und ging davon, mit kräftigen Schritten, geradem Rücken und stolzem Blick.
Aus Vivianes Brustkorb drang ein tiefer Seufzer.
Raudaborsti, die mit großen Augen ihr Gespräch verfolgt hatte, sprang wie ein Floh auf. »Bei Thors Hammer, das haut selbst eine dicke Eiche um! Jetzt ist er tatsächlich froh, dass er dich nicht verschenkt hat. Hm, vielleicht wollte er dich sogar von Anfang an behalten?« Sie ließ sich in den Wollberg plumpsen. »Du gefällst ihm. Ja, du gefällst ihm sogar sehr.«
»Du irrst dich, das kann nicht sein«, murmelte Viviane. »Ich bin doch nur eine Sklavin. Außerdem war er recht grob zu mir.«
Raudaborsti packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Begreifst du denn nicht, du gefällst ihm. Vor allem deine grünen Augen.«
»Mag sein. Hier haben alle Leute blaue oder braune Augen. Aber es hat doch nichts zu bedeuten.«
»Wenn jemand ein Tuch trägt mit den Farben einer bestimmten Frau, dann hat das was zu bedeuten.«
Viviane blickte Raudaborsti verblüfft an. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Was soll es denn bedeuten? Thoralf hat eine Braut, und keine ist schöner als sie.«
»Na und? Du gefällst Thoralf. Vielleicht macht er dich zu seiner Geliebten.«
Viviane stieß pfeifend die Luft aus. »Niemals! Du hast wohl zu viel vom Sauerbier getrunken?«
»Gefällt dir Thoralf nicht? Alle Mägde sind in ihn verliebt. Er ist stolz darauf.«
Viviane senkte den Kopf und kaute auf der Unterlippe. Etwas zu heftig rupfte sie an der Wolle.
»Ich habe ihn beobachtet«, gestand sie leise.
Raudaborsti
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