Wogen der Liebe
ist … es ist das Symbol der Christen für die Liebe ihres Gottes.«
Oleif lachte auf, während er vorsichtig den ledernen Blasebalg bediente, um das Feuer anzufachen. Der Schmied hatte eine offene Röhre vom Schmelztiegel zu einer Form aus Ton und Stein am Boden verlegt.
Viviane nahm das Kreuz in die Hand. Es war schwer, obwohl es nicht größer als zwei Handlängen war. »Es ist das Symbol für die Leiden von Jesus, Gottes Sohn, der sich für die Menschen geopfert hat.«
»So, so, und das hat euer Gott zugelassen? Ein Sohn kann ehrenhaft im Kampf sterben, aber doch nicht so, an einem Kreuz. Wenn er ein mächtiger Gott wäre, hätte er seinen Sohn retten können.« Er nahm Viviane das Kreuz aus der Hand, hieb mit einem Schlag den Holzsockel ab und legte das Metall in den Schmelztiegel. Dann schichtete er vorsichtig kleine Stückchen von Holzkohle um das Kreuz herum und obenauf. Er hockte sich wieder neben dem Blasebalg nieder. »Man muss genau auf die Hitze achten«, erklärte er Viviane. »Das sieht man an der Farbe des Feuers. Man darf nicht zu viel von der Holzkohle verwenden, aber auch nicht zu wenig. Und es darf kein Nadelholz dazwischen sein, denn durch das Harz springen die Funken und könnten das Gold verderben. Es muss flüssig werden, darf aber nicht verdampfen. Es ist ganz anders zu behandeln als Eisen, deshalb ist es eine Kunst, Gold zu schmelzen. Ich will es von meinem Meister lernen.«
»Nun schwatz nicht so viel, sondern arbeite«, fuhr ihn der Schmied an.
»Jetzt beginnt es zu schmelzen«, plapperte Oleif weiter. »Schau, wie wunderbar es aussieht.« Das geschmolzene Gold floss in einem dünnen Rinnsal die Röhre entlang und ergoss sich in die kleine Form in Gestalt eines Hammers. Fasziniert beobachtete Oleif die Schmelze. Auch der grobschlächtige Schmied bekam einen milden Gesichtsausdruck.
»Du sagst gar nichts, Viviane. Oh, du weinst ja!«
»Pass lieber hier auf«, schnauzte ihn der Schmied an. Oleif wandte sich schnell wieder seiner Arbeit zu. Viviane entfernte sich leise. Sie fühlte sich elend.
Das große Tor stand offen. Zwei Knechte hüteten draußen auf der Wiese die Kühe. Viviane lief zwischen den Kühen hindurch. Auf halbem Weg zum Wasser setzte sie sich nieder, stützte das Kinn auf ihre Knie und starrte auf die Schiffe im Fjord. Mit diesen Schiffen fing alles Unglück an.
Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Ein kühler Wind ließ sie frösteln. Schutzlos, hilflos, allein, es konnte nicht schlimmer kommen. Skollhaugen war nicht wirklich ihr Zuhause. Und doch musste sie froh sein. Sie lebte, sie hatte ein Dach über dem Kopf, zu essen und in Raudaborsti zumindest etwas Gesellschaft. Doch die Sehnsucht zerrte an ihrer Brust, eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das sie nicht benennen konnte.
Sie bemerkte Oleif, der den Hang heruntergelaufen kam. Nein, er rannte. »Ich habe dich überall gesucht«, schnaufte er aufgeregt und ließ sich neben ihr ins Gras fallen.
»Hat Truud nach mir gerufen?«, wollte sie wissen.
»Nein, die weiß ja nicht, wo du bist. Ich habe gesehen, dass du traurig bist. Ich wäre auch traurig, wenn sie meinen Gott einschmelzen würden. Also …« Er räusperte sich und errötete plötzlich. Umständlich zog er etwas unter seinem Kittel hervor. Es war eine dünne Lederschnur mit einem Anhänger. Er nahm Vivianes Hand und legte den Anhänger hinein.
»Was ist das?«, wollte sie wissen und betrachtete den seltsam geformten Anhänger.
»Thors Hammer. Ich habe ihn selbst aus Kupfer getrieben. Er soll dich beschützen und alle mit Blitz und Donner strafen, die dir Böses wollen.« Oleif blickte sie erwartungsvoll an. »Na, was sagst du?«
»Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist sehr lieb von dir.«
»Siehst du, ich möchte, dass du wieder fröhlich bist.« Er hängte ihr die Schnur um den Hals und plazierte den Anhänger auf ihrer Brust.
»Ich könnte ihn verlieren.« So recht war Viviane nicht überzeugt von diesem neuen Heilszeichen.
»Kannst du nicht«, widersprach Oleif. »Wenn Thor seinen Hammer schleudert, kehrt er immer wieder zu ihm zurück.«
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Die Nornen des Schicksals
N achdenklich betrachtete Viviane den großen Korb voller Wolle. Gemeinsam mit Raudaborsti hatte sie sie gezupft und grobe Verunreinigungen entfernt. Die Schafe streiften überall herum, in ihrem Fell sammelten sich Grannen, Kletten, Tannennadeln, Schmutz und kleine Insekten. Je besser die Wolle vorbereitet wurde,
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