Wogen der Liebe
daraufgewickelt. Im Mittelraum herrschte immer Geschäftigkeit, denn hier wurde gekocht, gegessen, geschlafen oder gespielt. Er war das Zentrum des Hauses, der lebendige Mittelpunkt. Von Thoralfs Schwestern wurde sie kaum beachtet, obwohl sich beide häufig hier aufhielten, sich mit Brettspielen vergnügten oder Handarbeiten erledigten. Sie webten an einem kleinen Rahmen bunte Bänder, mit denen sie ihre Kleidung schmückten. So etwas stand den einfachen Bewohnern von Skollhaugen nicht zu.
Viviane spürte, dass sie jemand beobachtete. Sie saß mit dem Rücken zum Raum auf einer Strohmatte, die Beine untergeschlagen. Mit einem breiten Holzkamm klopfte sie die Schussfäden fest. Es brannte in ihrem Rücken, als würde jemand ein glühendes Holzscheit daranhalten. Verunsichert drehte sie sich um. An den Türpfosten gelehnt, stand Thoralf da und beobachtete sie. Einen langen Augenblick verbanden sich ihre Blicke, dann wandte sich Thoralf ab. Fast beiläufig ließ er sich auf einer der mit Fell bedeckten Schlafbänke an der Wand nieder und zog sein Messer aus dem Gürtel. Damit schnitzte er an einem Stück Holz. Die feinen Späne fielen zwischen seine Füße. Viviane bemerkte, dass es ihr Messer war, das er immer noch bei sich trug.
Ihr Herz klopfte heftig, und ein beunruhigendes Gefühl erfasste sie. Ahnte Thoralf, dass sie die grüne Spule von einer Norne bekommen hatte? Oder war es gar Frigg selbst gewesen, die ihr dieses Geschenk auf wundersame Weise gemacht hatte?
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, doch ihre Finger zitterten. Es war Thoralfs Nähe, die sie nervös machte. Sie konnte es sich selbst nicht erklären. Seit sie auf Skollhaugen lebte, wurde sie von allen möglichen Menschen kontrolliert, da sie in der Rangfolge ohnehin ganz unten stand. Doch Thoralfs Nähe verwirrte sie. Ob er ihre Webkunst nicht für gut genug hielt?
Sie erinnerte sich, wie sie ihn heimlich durch die Ritzen in der Schwitzhütte beobachtet hatte. Da hatte sie einen ganz anderen Thoralf gesehen, nackt, nass, mit glänzender Haut und schwellenden Muskeln. Der Gedanke daran ließ sie leise seufzen. Sie sollte sich eigentlich schämen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen kehrte dieses Bild immer wieder. Auf ihrer Haut kribbelte es wie von Ameisen, in ihrem Bauch prickelte es wie von frischem Met. Die Innenseiten ihrer Hände wurden feucht und ihr Atem ging schneller.
Sie warf das Schiffchen beiseite, erhob sich und verließ das Haupthaus. Draußen war es kühl. Wahrscheinlich hatte das Feuer sie so erhitzt, und der Rauch benebelte ihre Sinne. Sie ging zu dem Trockengestell, auf dem noch gefärbte Wolle hing, die sie verspinnen musste. Mit wenigen Griffen kontrollierte sie, ob sie getrocknet war. Das feuchte Klima und der Nebel, der oft vom Fjord heraufstieg, hatten das bislang verhindert. Auch diesmal war die Wolle noch zu feucht, so dass Viviane sie nicht verspinnen konnte. Aber sie hatte einen Vorrat für die nächsten zwei Tage zum Weben, dann würde sie wieder die Spindel in die Hand nehmen müssen.
Sie fröstelte und wandte sich um, um ins Haus zurückzukehren. Doch unvermittelt prallte sie gegen jemanden, der hinter ihr stand. Sie hatte niemanden kommen hören. Es war Thoralf. Geschickt fing er sie mit seinen Armen auf und hielt sie fest. Erschrocken blickte Viviane zu ihm auf.
»Herr, seid Ihr nicht zufrieden mit meiner Arbeit?«, stammelte sie.
Doch Thoralf lächelte. Sein Gesicht wirkte ungemein weich und anziehend.
»Kleine Skolli.« Auch seine Stimme war sanft. »Wie könnte ich …« Er blickte ihr tief in die Augen. »Ich bin sicher, der Mantel wird wunderschön. Aber …«
»Aber?«
Thoralf atmete tief durch. »Mach es mir doch nicht so schwer. Ich … ich habe dich …«
Sein Gesicht war nahe. Sie spürte seinen warmen Atem, seinen Körper, an den er sie gezogen hatte. Wie Schmetterlinge flatterte es in ihrem Bauch, etwas zog ihre Haut zusammen und ließ ihr Herz rasen. Sie hatte keine Angst vor ihm, obwohl sie ihn doch fürchten sollte. Sie spürte auch keinen Hass, obwohl sie ihn doch hassen wollte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und doch sah sie sein Gesicht vor sich, die gebräunte Haut, strahlend blaue Augen, die jetzt dunkel wie die Tiefe des Meeres wurden, die kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln, die sonnengebleichten Augenbrauen, seine leicht geöffneten Lippen, seine Wangen, über denen sich eine sanfte Röte ausgebreitet hatte, als wäre er schnell gelaufen. Auch sein Atem ging schnell,
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