Wogen der Liebe
Atem mit Gewalt bändigen, um sich nicht zu verraten. Immer weiter stieg Viviane aus dem See, immer tiefer sank das Wasser, strich kosend über die sanfte Wölbung ihres Bauches und ihrer Hüften, bis es den engen, einem Runenzeichen ähnlichen Schluss ihrer Schenkel erreichte. Thoralfs Mund blieb offen stehen, sein Atem setzte aus und beinahe auch sein Herzschlag. Fuchsrotes Haar, die kleinen Kringel vom Wasser schwer, verhießen mehr, als sie verhüllten. Schlanke, aber straffe Schenkel trugen diesen atemberaubenden Körper, der einer Feenwelt entstammen musste. Wie Perlmutt schimmerte Vivianes Haut, als das Wasser daran herabrann, das Thoralf in diesem Moment beneidete, weil es diesen Körper liebkosen durfte.
Ein unsagbarer Schmerz durchfuhr ihn, wühlte in seinen Eingeweiden und schnürte seinen Brustkorb zusammen. War das wirklich die kleine Sklavin, die ihm mehr Ärger und Verdruss als Gewinn und Freude bereitet hatte? Wo hatte er die ganze Zeit seine Augen gehabt?
Skolli, kleine Füchsin, du kannst nicht von dieser Welt sein! Es war eine Vision, ein Trugbild, ein Traum, eine Erscheinung. Er befand sich an einem verwunschenen See, einem heiligen Ort, wo alles Unmögliche möglich war.
Viviane betrat das Ufer, blieb stehen und reckte sich schließlich. Sie schien auf etwas zu warten. Aber es trat nicht ein. Langsam streifte sie sich ihr Kleid über, band den Gürtel und hängte sich die Lederschnur mit Thors Hammer um den Hals.
Lautlos entfernte sich Thoralf, verwirrt und betäubt von dem eben Erlebten. Er eilte zu seinem Pferd, warf sich auf dessen Rücken und trieb es heftig an. Erst als er die Wiesen erreichte und ihm die drahtige Mähne des Falben schmerzhaft ins Gesicht peitschte, schrie er seine Pein aus seinem Brustkorb heraus.
Viviane verließ enttäuscht den See. Sie hatte sich ein Zeichen der Göttin erhofft, einen Lichtstrahl vom Himmel, die Gestalt Marias, einen wirbelnden Nebel, irgendetwas. Doch nichts geschah. Diesmal schritt sie nicht zügig aus, ihr Schritt war schleppend und kraftlos. Den Blick zum Boden gesenkt, hing sie ihren Gedanken nach. Vielleicht waren diese Götter doch nicht allmächtig, vielleicht war das alles nur heidnischer Zauber, und sie hatte gesündigt. Vielleicht kam die Strafe Gottes über sie, vielleicht geschah überhaupt nichts …
Als sie aufblickte, erschrak sie. Hier war sie noch nie entlanggegangen. Das war nicht der Weg zum Fjord. Wo waren die Wiesen? Stattdessen befand sie sich in einem Waldstück, dunkel und unheimlich. Alte, knorrige Bäume verschlangen ihre Äste ineinander, so dass es kaum ein Durchkommen gab. Wurzeln bildeten gefährliche Fußangeln, glitschiges Moos überwucherte Steine und Baumstümpfe. Von den Ästen hingen lange Flechten wie alte Männerbärte herab.
Ein feines Surren lenkte Vivianes Aufmerksamkeit auf einen gewaltigen Baum, dessen Stamm hohl war. Einige Äste trugen noch Blattwerk, die anderen waren abgestorben. Direkt vor einem großen Loch, das wie eine offene Tür in den hohlen Baum führte, hockte ein altes Weib. Es hielt eine Spindel in der Hand, die sich in Windeseile drehte und mit ihrer Spitze über den Boden hüpfte. Die Alte zog an den bartähnlichen Flechten und verspann sie zu einem Faden.
»Gefällt dir, was du siehst?«, sprach die Alte sie an. Viviane wich zurück. Die Frau war alt und hässlich. Ihr Gesicht war ausgemergelt und von grauer Farbe. Ihre Nase stach wie ein Vogelschnabel daraus hervor, auch das Kinn wölbte sich nach vorn, während ihre Lippen nur dünne Striche waren. Sie schien keine Zähne zu besitzen, denn sie lispelte, während sie sprach. Ihr Haar wehte wie feine Spinnweben, das verschlissene Kopftuch konnte es nicht gänzlich verdecken.
»Komm her, versuch es selbst. Diese Flechten ergeben einen wunderbaren grünen Faden.«
»Grün?« Viviane überwand ihren Abscheu und trat näher. Tatsächlich, der Faden auf der Spindel schimmerte jadegrün. Es war genau das Grün, das sie für Thoralfs Mantel benötigte. Aber sah die Göttin Frigg so hässlich aus?
Plötzlich erschien eine zweite alte Frau hinter der Alten. Viviane hatte sie nicht kommen sehen, sie war einfach da. Die beiden alten Weiber ähnelten einander verblüffend. Irritiert blickte Viviane von einer zur anderen.
»Na komm, nimm die Spindel«, forderte sie die erste auf. Doch die zweite packte plötzlich die Alte und riss ihr das spinnwebenfeine Haar vom Kopf. Zugleich löste sich die graue Haut aus ihrem Gesicht. Entsetzt wich
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