Wogen der Liebe
herab und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Manchmal machen die Herren das eben so. Björgolf hatte auch einmal eine Geliebte, da besaß er noch beide Beine. Er brachte sie von einer Fahrt mit. Sie soll die Tochter eines Königs gewesen sein, er hatte sie geraubt und versklavt. Und sie teilte sein Lager, als Astrid schwanger war.«
Viviane schaute sie zweifelnd an. »Aber da hast du doch noch gar nicht gelebt.«
»Stimmt, aber Truud hat es erzählt, und Truud ist schon lange auf Skollhaugen.«
Mit dem Handrücken wischte Viviane ihre Tränen ab. »Was ist aus dieser Geliebten geworden?«
Raudaborsti setzte eine wichtige Miene auf. »Die ist ertrunken, unten im Fjord, als Björgolf wieder auf Víking fuhr. Man sagt, Astrid habe einem Knecht den Auftrag gegeben, sie ins Wasser zu werfen. Astrid selbst sagte, es sei ein bedauerlicher Unfall gewesen. Seltsam nur, dass dieser Knecht kurz darauf auch starb. Er wurde von einem fallenden Baum erschlagen.«
»Wie schrecklich!«
»Ja, ja, es geschehen seltsame Dinge auf Skollhaugen«, erwiderte Raudaborsti düster. »Du solltest dich in acht nehmen. Aber vielleicht will Thoralf dich gar nicht zur Geliebten haben und wollte nur prüfen, ob du zu viel vom Sauerbier getrunken hast.«
»Meinst du wirklich?«
»Na ja, warum sonst sollte er dich küssen?«
Ja, warum sonst? Viviane setzte sich auf. Wie konnte sie jetzt einfach wieder ins Haupthaus gehen und so tun, als wäre nichts geschehen? Nein, niemals wollte Thoralf prüfen, ob sie Bier getrunken habe. Obwohl das Kribbeln in ihrem Bauch dem ähnlich war, das man hatte, wenn man zu viel Bier trank.
Sie erhob sich, ordnete ihr Kleid und ihr Haar und verließ die Hütte und die ihr verwundert hinterherblickende Raudaborsti.
Im Haupthaus war niemand, nur eine Magd schüttete Wasser in den großen Kessel über dem Feuer. Viviane atmete auf. Sie hätte Thoralf jetzt nicht in die Augen schauen können. So hockte sie sich an den Webstuhl und setzte ihre Arbeit fort, wo sie sie unterbrochen hatte.
Thoralf ritt ziellos durch die Gegend. Er hatte nicht einmal seine Jagdwaffen dabei. Asgeir wollte ihn begleiten, doch Thoralf winkte mit einer herrischen Handbewegung ab. Er wollte allein sein.
Thoralfs Gefühlswelt war durcheinandergeraten. Überhaupt bemerkte er erst jetzt, dass er eine Gefühlswelt besaß. Bislang bestanden seine Gefühle aus Stolz, Hass, Freude, Zorn, Respekt vor seinen Eltern und den Göttern, Standesbewusstsein. Er war stolz darauf, dass die schöne Gunnardviga zu seiner Braut bestimmt war, und er tat alles, um Ruhm und Ehre zu sammeln, die ihn in Gunnardvigas Augen noch erhöhen sollten. Ja, er wollte ein Held sein, auch ihr Held, den sie verehren und anbeten sollte.
Doch auch Gunnardviga war eine stolze Frau, die erobert werden wollte, trotz des Heiratsversprechens, das ihre Familien bereits vor vielen Jahren ausgehandelt hatten. Es war ein Spiel, ein ernstes Spiel. Niemals hatte er geglaubt, dass er einer Frau gegenüber ein anderes Gefühl verspüren konnte als dieses Werben und Präsentieren, als bewundert werden und sich seines Sieges sicher sein.
Doch nun war alles ganz anders. Er verspürte etwas in seiner Brust, das ihm neu, fremd und unheimlich war. Er fühlte sich zu Viviane hingezogen, nicht wie zu irgendeiner Sklavin, die er gerade körperlich begehrte. Dieses körperliche Begehren war ebenfalls da, seit er sie nackt im See gesehen hatte. Doch da war noch etwas anderes. Gleichzeitig scheute er sich davor, diesem Begehren nachzugeben, ja, er empfand es wie eine Schändung eines göttlichen Tabus. Viviane war nicht wie die anderen Sklavinnen. Zweifellos war sie eine Frau, eine junge, schöne, begehrenswerte Frau mit einem Körper, den die Göttin Frigg höchstpersönlich geformt haben musste. Aber sie schien so unerreichbar fern. In seinen Träumen streckte er die Hand nach ihr aus, doch immer war sein Arm zu kurz, erreichten seine Fingerspitzen sie nicht. Wie ein Lufthauch entkam sie ihm, verschwand im Dunst eines unheimlichen Nebels.
Je mehr sie sich ihm entwand, umso größer wurde seine Sehnsucht nach ihr. Ja, es war Sehnsucht, kein einfaches Begehren. Er wollte sie lieben, umarmen, beschützen wie … wie seine Frau.
Unmöglich! Sie war eine Sklavin und er ein Fürstensohn. Vielleicht hatte Loki seine Hand im Spiel und verwirrte ihm den Geist. Täuschung und Trug hatten sogar schon den Göttern den Geist verwirrt.
Und doch – er hatte Viviane geküsst. Und sie hatte seinen
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